Mikro, Mikro, in der Hand. . . welches hat den geradesten Frequenzgang im ganzen Land? Das mag sich der ein oder andere fragen, der sich ein vernünftiges Mikrofon zuzulegen möchte.

Ich habe mittlerweile eine ganze Anzahl von Mikrofonen relativ zu einem sauteuren BRÜEL & KJAER Messmikrofon kalibriert und kann nur sagen: das ist - auch - Glückssache! Genauso wichtig wie die Auswahl des richtigen Mikrofontyps ist die individuelle Abweichung vom mittleren Frequenzgang!

 

Mikrofonkalibrierung, wie geht das?

Eigentlich ist es im Groben ganz einfach:

  • Man positioniere einen Lautsprecher mit einigermaßen linearem Schalldruck und ziemlich gleichmäßigem Rundstrahlverhalten in einen einigermaßen reflexionsarmen Raum,
  • messe ihn mit beiden Mikros an derselben Position nacheinander
  • korrigiere den gemessenen Frequenzgang des Referenzmikrofons anhand dessen individuellem Kalibrierzeugnis um dessen individuelle Frequenzgangfehler
  • und bilde die Differenz beider Messkurven!

Tja, soweit die Theorie! In der Praxis gibt es allerdings haufenweise Probleme dabei!

Zunächst einmal ist da das Problem, dass beide Messungen nacheinander durchgeführt werden müssen, damit sich die Mikrofone nicht gegenseitig beeinflussen. Jedes Mikrofon verändert nämlich durch seine bloße Anwesenheit das Schallfeld auf charakteristische Art und Weise. Wenn das Mikrofon von "vorne" beschallt wird kommt es bei hohen Frequenzen (sobald die Wellenlänge nicht mehr klein gegenüber dem Umfang der Mikrofonmembran ist) zu einem "Druckstau" vor der Mikrofonmembran. Wenn es in dieser Situation "richtig" messen soll, dann muss dieser Anstieg intern kompensiert werden, d.h. es muss zu hohen Frequenzen hin um genau den Betrag des Druckanstiegs unempfindlicher werden - kein leichtes Unterfangen. Ein solchermaßen kompensiertes Mikrofon nennt man Freifeld-Mikrofon, da es im freien Feld "richtig" misst. Wenn es von der Seite beschallt wird führt die geringere Empfindlichkeit bei hohen Frequenzen dazu, dass diese Schallanteile zu wenig berücksichtigt werden. Daher muss ein Freifeldmikrofon immer genau von vorne beschallt werden!

Das "Nacheinander" bedingt, dass der erzeugte Schalldruck im gesamten Frequenzbereich deutlich über dem Hintergrundgeräusch liegen muss. Das ist insbesondere bei tiefen Frequenzen sehr schwierig, da das Hintergrundgeräusch zu tiefen Frequenzen hin mit 1/F (= 6 dB/Oktave) ansteigt, während ein dynamischer Lautsprecher im geschlossenen Gehäuse unterhalb seiner Resonanzfrequenz mit 1/F² (= 12 dB/Oktave) abfällt! Bis 50 Hz ist das in der Regel kein Problem, darunter wird es aber knifflig. Man könnte natürlich sehr nah an den Lautsprecher gehen (z.B. 10 cm) um das Hintergrundgeräusch relativ zum Nutzgeräusch zu unterdrücken. Dann wird aber die genaue Bestimmung der absoluten Empfindlichkeit (z.B. in mV/Pa) sehr fehleranfällig, da der Schalldruck mit 1/r² abnimmt. Wenn die Entfernung statt 10 cm nun 11 cm beträgt wäre der Fehler schon 20 · Log10 ( 10 / 11 ) = 0.83 dB. Bei kleinen Kondensatormikrofonkapseln ist die Lage der Membran sehr genau bestimmbar, der Positionierungsfehler ist auf 1 mm zu begrenzen. Bei einigen Mikrofonen im klassischen Design (mit Drahtkorb o.ä. als Berührungs- und Popschutz) ist die genaue Lage der Membran nicht klar, so dass es zu Abweichungen bis 1 cm kommen kann. Außerdem könnte der voluminöse Drahtkorb solcher Mikrofone das Schallfeld in unmittelbarer Nähe des Lautsprecher beeinflussen. Je größer die Messentfernung ist, desto leiser muss das Hintergrundgeräusch oder desto höher muss der produzierte Schalldruckpegel sein - bei 20 Hz ein nicht triviales Unterfangen!

Da muss man den Bassbereich deutlich anheben, was zwangsläufig Lautsprecher mit entsprechend großen Membranen bedingt. Diese sind aber nicht in der Lage bis zu hohen Frequenzen einen linearen Schalldruck zu erzeugen. Daher muss auf jeden Fall ein 2-Wege-Lautsprecher verwendet werden. Damit das Rundstrahlverhalten symmetrisch zur Hauptstrahlachse verläuft ist darüber hinaus ein Koaxiallautsprecher nötig. Ansonsten kann insbesondere im Nahbereich der Chassis das Rundstrahlverhalten im Übernahmebereich sehr zerklüftet sein, so dass eine geringe Fehlpositionierung der Mikrofone zu unüberschaubaren Fehlern führen kann.

Mal angenommen, diese Probleme wären umschifft. Dann bliebe aber noch ein anderes Problem: die Phase! So ein Mikro hat ja nicht nur einen Amplituden-Frequenzgang, sondern auch einen Phasen-Frequenzgang. Als Phasenreferenz kann man zwar die Eingangsspannung des Lautsprechers verwenden und eine 2-kanalige Übertragungsfunktionsmessung machen. Man muss nur Aufpassen, dass die Schwingspule bei beiden Messungen dieselbe Temperatur hat, damit sich die Empfindlichkeit des Lautsprechers während der beiden Teilmessungen nicht ändert. Aber wie ist der Phasengang des Referenzmikrofons? Der wird nämlich selbst bei BRÜEL & KJAER nicht mit angegeben! Da bleibt nur den Phasengang per Hilberttransformation aus dem Amplitudengang zu bestimmen oder den Frequenzgang durch Hintereinanderschaltung von idealen Filtern zu synthetisieren.

Schließlich muss der Amplituden- und Phasengang auch noch in einer Kalibrierungsdatei gespeichert werden. Statt diese Werte nun bei jeder Frequenzlinie im Abstand von z.B. 1 Hz anzugeben (was eine Kalibrierungsdatei von etwa 400 kB ergeben würde) müssen die Werte schließlich z.B. im 1/12 Oktavabstand gemittelt werden. Das ist insbesondere bei der Phase nicht ganz trivial.

Am Ende einer umfassenden Mikrofonkalibrierung stehen folgende Werte zur Verfügung:

  • Absolute Empfindlichkeit in mV/Pa bei 1 kHz
  • Relativer Amplitudenfrequenzgang (1 kHz = 0 dB)
  • Absoluter Phasenfrequenzgang (durch identische Messentfernung automatisch laufzeitkompensiert)

Wenn man dies alles sorgfältig durchführt stellt man leider fest, dass vermeintlich gleiche Mikrofone sowohl in ihrer absoluten Empfindlichkeit als auch in ihrem Amplituden- und Phasenfrequenzgang zum Teil deutlich voneinander abweichen. Ich habe im Folgenden mal einige der von mir kalibrierten Mikrofone zusammengestellt. Zunächst einmal ist es natürlich ernüchternd, dass selbst ein 2000 Euro teures professionelles Messmikrofon (BRÜEL & KJAER Type 2669 Vorverstärker (PDF 360 kB) und Type 4188 Mikrofon (PDF 189 kB) keinen perfekten Frequenzgang hat:

Das kommt durch den relativ großen Membrandurchmesser von 1/2" (= 12.7mm). Dieser hat aber den Vorteil, dass die Empfindlichkeit mit 31.6 mV/Pa relativ hoch liegt, wodurch ein geringes Eigenrauschen und ein geringer Klirrfaktor erreicht werden kann. Das Leben besteht eben aus Kompromissen, auch beim Mikrofonbau . . .

So, wie sehen denn jetzt andere Mikrofone dagegen aus? Wie wäre es denn mit 3 verschiedenen BEHRINGER ECM-8000, zwei davon (A + B) kurz nacheinander im gleichen Laden gekauft, das 3. aus anderer Quelle:

-> kaum zu glauben, dass das derselbe Mikrofontyp sein soll! Mikro A und B gehen ja noch, aber Mikro C ?!?

Bei einer späteren Kalibration habe ich noch einmal zwei BEHRINGER ECM-8000 (gleichzeitig gekauft) und zwei MONACOR ECM-40 Mikrofone (mit 4 Jahren Abstand) verglichen, wobei auch noch unterschiedliche Vorverstärker verwendet wurden (die BEHRINGER-Mikros wurden relativ stark verstärkt):

-> die beiden ECM-8000 sind recht identisch (gleichzeitig gekauft) mit flachem Frequenzgang, während die beiden ECM-40 (im Abstand von 4 Jahren gekauft) einen saftigen Höhenanstieg aufweisen und sehr unterschiedlich laut sind.

Auf der Suche nach einem preiswerten Mikro haben wir auch das EM-240 von CONRAD sowie das EM-900 von THOMANN ausprobiert:

-> beide Mikrofontypen weisen einen starken Bassabfall auf (-10 dB bei 50 Hz), sind recht unempfindlich (2 - 5 mV/Pa) und weisen durch den jalousieartigen Berührungsschutz diverse Resonanzen im mittleren Frequenzbereich auf (besonders das EM-240). Da dieser Effekt stark von der Beschallungsrichtung abhängig sein dürfte sind beide Mikrofontypen als Messmikrofone nicht geeignet.

Und wie schneidet da das superpreiswerte ATELCO Desktop-Mikro für 3.50 € ab?

-> Die Mikros 1 und 2 wurden einzeln im Abstand von einigen Wochen gekauft, die Mikros 3 bis 5 wieder einige Wochen später auf ein Mal. Auch hier zeigen sich gravierende Abweichungen!

 

Und die Moral von der Geschicht' . . .

traue Herstellerangaben nicht (blind)! Bei allen Mikrofontypen konnte beobachtet werden, dass:

  • gleichzeitig gekaufte Mikrofone (= identische Charge) eine relativ geringe Exemplarstreuung aufweisen
  • mit zeitlichem Abstand gekaufte Mikrofone (= unterschiedliche Charge) eine relativ große zeitliche Streuung aufweisen
  • kleine Kondensatorkapseln einen guten Kompromiss zwischen Empfindlichkeit und Frequenzgang haben

Bei diesen Überlegungen wurde vor allem der Amplitudenfrequenzgang betrachtet. Weder das Eigenrauschen noch der Klirrfaktor wurden näher beleuchtet. Dazu gibt es in einem späteren Artikel mehr.

Sobald unser Messraum voll einsatzfähig ist werden wir die individuelle Kalibrierung von Mikrofonen als Service anbieten. Schauen Sie in unserem Shop unter Dienstleistung vorbei.

Kommentare

easysein
7 jahre vor
Hallo,
sind die Messfiles auch für Arcams Dirac Live nutzbar?
Gruß
wolfgang520
7 jahre vor
Hallo Theo,

könnt Ihr auch die Kalibrierung eines Clio Messmikrofons überprüfen?
daVinci
11 jahre vor
Was benutzt ihr denn für Material(micro,vorverstärker usw) wenn ihr kalibriert?
Wenn ihr messt misst ihr mit den preiswerten micros oder den teuren?


:silly:
Theo
11 jahre vor
Hallo daVinci,

wir benutzen einen MPA-202 von Monacor und zum Messen nehmen wir Behringer 8000 oder ECM-40....was gerade näher liegt ;-)

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