Einst war sie legendär

Als die 3" Kalotte vor langer Zeit auf den Markt kam, zählte sie zum Non Plus Ultra der Lautsprecher-Chassis Technologie. In so bekannten Lautsprecherbausätzen wie einer "Dynaudio Myrage" waren direkt zwei von diesen Wandlern in D´Apollito Anordnung um die ebenfalls legendären Dynaudio Esotar angeordnet. Dynaudio betrieb damals einen unglaublichen Konstruktionsaufwand um die Stabilität der Membran zu gewährleisten. So ließ man z.B. die frisch hergestellte Membran 48 Stunden in einer Klimakammer gezielt trocknen, um Verspannungen zu vermeiden. Aus heutiger Sicht ist das alles Schnee von gestern, hat man doch dank moderner Materialien, im Verhältnis zu damals, relativ leichtes Spiel einen guten Mitteltöner zu entwickeln.

Wie sich der Klassiker heute schlägt, testen wir anhand eines fabrikneuen, aber 24 Std. eingerauschten Paares  der D-76AF.

Datenblatt Dynaudio D-76AF (öffentlich)

Diskussion zur D-76AF (Abonnenten)


Chassis-Datenblatt © www.hifi-selbstbau.de
So werden Lautsprecherchassis von HiFi-Selbstbau gemessen
Hersteller: DYNAUDIO Typ: D-76 AF, 8 Ohm Datenblatt des Herstellers

Foto des Chassis

Membranfläche: Außendurchmesser:
Schwingspulendurchmesser:
Plugdurchmesser:
-> Membranfläche Sd:
88 mm
76 mm
0 mm
52.8 cm²
TSP (Mittelwert und Streuung
von 2 Chassis, Anregung -12 dB):
Resonanzfrequenz Fs
DC-Widerstand Rdc
Mechanische Güte Qms
Elektrische Güte Qes
Gesamtgüte Qts
Wirkungsgrad Eta (1m, 2.83V, Halbraum)
285.46 Hz (+/-1.7%)
5.22 Ohm (+/-3.9%)
1.375 (+/-11.5%)
2.007 (+/-2.6%)
0.816 (+/-7.9%)
89.30 dB (+/-0.31)

Pseudorauschen > 200 Hz (0°, 15°, 30°, 45°, 60°; MP3 42 kB)

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Sprungantwort (Chassis 1, 20 cm, 0°)

Zerfallspektrum (Chassis 1, 20 cm, 0°)


Klirrfaktor bei 85 bis 100dB/1m (Halbraum)

Kompletter Datensatz beider Chassis (Impedanz, Schalldruck, Bündelungsgrad und Schallleistung im OCT-Format, Klirrfaktor und komplexer Frequenzgang als TXT-Datei, ZIP, 62 kB)
Hinweis: Beide Chassis sind 24 Stunden eingerauscht!


Unsere Meinung:
  • Der äußere Eindruck:
    Die D-76 AF ist DIE klassische 3"-Kalotte, deren schlichte Eleganz zeitlos ist. Die 76 mm große, ganz leicht klebrig beschichtete Textil-Kalotte ist relativ flach und ragt "nur" 13 mm aus der schlichten Metallfrontplatte hervor. Die Zuleitungsdrähte zur Schwingspule sind von außen nicht sichtbar. Eine 6mm breite, inverse Sicke zentriert die Schwingspule.
    Auf der Rückseite ist ein tiefes, leicht konisch zulaufendes Koppelvolumen angebracht (s. u.).
    Für Haushalte mit Kindern sind dringend Schutzmaßnahmen für die D-76 AF zu empfehlen - die Kalotten reizen einfach zum "Eindrücken". Durch die vorstehende Kalotte ist sie aber auch bei unachtsamen Erwachsenen akut gefährdet - wie alle freiliegenden Kalotten.


    Unser Paar ist zwar 20 Jahre alt, war aber die ganze Zeit gut und lichtgeschützt verpackt. Diese Kombination nennt man "neudeutsch" NOS (= new off stock) was soviel wie "neu aus dem Lager" heißt und ist unter Liebhabern sehr begehrt, da nur so der damals tolle Klang der Originalchassis wieder aufleben kann.

  • Die TSP:
    Bei der Bestimmung der Resonanzfrequenz zeigt sich eine relativ schlechte Übereinstimmung zwischen Simulation und Messung zwischen 500 und 1000 Hz. Dies bedeutet, dass das zugrunde liegende Impedanzmodell nicht in der Lage ist die Realität zu beschreiben. Bei innenliegenden Magneten, wie sie bei so großen Kalotten üblich sind, muss man den Polkern durchbohren um das rückwärtige Volumen anzukoppeln und dadurch die Resonanzfrequenz zu reduzieren. Die Öffnung verschließt man in der Regel mit einem Stück Schaumstoff als Strömungswiderstand - und hat sich damit unfreiwillig eine stark bedämpfte Bassreflexbox gebaut. Dieses Verhalten sieht man auch häufig bei kompakten Kalottenhochtöner mit innenliegender Neodym-"Tablette" - weil es sich prinzipiell nicht vermeiden lässt.
    Bei der DYNAUDIO D-76 AF ist das noch recht gut gelöst, das untere Impedanzmaximum bei 285 Hz wird recht gut simuliert. Eine Gesamtgüte von 0.816 verspricht einen weitgehend linearen Frequenzgang bis dahin.
    Die Bedämpfung der Resonanzfrequenz geschieht größtenteils mechanisch (Qm < Qe). Normalerweise ist es schwerer eine Struktur mechanisch über einen großen Anregungsbereich linear zu bedämpfen. Bei der pegelabhängigen Impedanzmessungen kam die D-76 AF jedenfalls noch nicht in den nichtlinearen Bereich.
    Die Streuung der TSPs ist teilweise relativ groß (Qe, Qm), andere TSPs streuen nur im üblichen Bereich. Hier sind Effekte durch die Lagerung natürlich nicht auszuschließen, obwohl beide Chassis zuvor 24 Stunden eingerauscht wurden. Der Gleichstromwiderstand beider Chassis weicht relativ stark voneinander ab.
    Der Impedanzanstieg zu hohen Frequenzen fällt relativ hoch aus. Auf Impedanz linearisierende Elemente (verkupferte Polplatte etc.) wurde offenbar verzichtet.
  • Der Frequenzgang:
    . . . der D-76 AF sieht "wellig" aus: um 600 und 2000 Hz gibt es zwei breite Einbrüche - auf unserer "unendlichen" Schallwand. Wie oft haben wir gesehen, dass ein dort perfekt gemessener Frequenzgang auf einer schmalen Schallwand nur noch eine einzige Berg- und Talfahrt war? Da muss man die Schallwandbreite und das Hochpassfilter halt entsprechend dimensionieren . . .
    Einfluss des Abstands zur Schallwandkante
    Wenn die Schallwand das "Loch" bei 2 kHz auffüllen sollte müsste sie einen Durchmesser von 17 cm haben. Dann wäre der Abstand zur Kante gerade 1/2 Wellenlänge (=343 [m/s] / Frequenz [Hz]) und die dort stattfindende Reflexion samt damit einhergehendem Phasensprung um 180° würde dafür sorgen, dass sich in entsprechend hohem Messabstand die Reflexion zum Direktschall addiert.
    Üblicherweise baut man Kalotten allerdings zusammen mit anderen Chassis in rechteckige Gehäuse. Wenn die Seitenwand im Mittel einen Abstand von 8.5 cm zum Zentrum der Kalotte haben sollte müsste sie weniger als 17 cm breit sein, also z.B. 15 cm. Dann wäre der minimale Abstand bei genau seitlicher Abstrahlung 7.5 cm, 15/30/45° nach unten wäre der Abstand auf einer quadratischen Platte 9.19/10.25/10.61 cm, der Mittelwert wäre 9.54 cm. Für einen mittleren Abstand von 8.5 cm müsste die Schallwand also noch schmaler sein, nämlich 13.4 cm. Dann würde die Kalotte gerade mal auf die Frontplatte passen und nicht mal mit einem 13 Bass kombiniert werden können. Außerdem setzt ab 2 kHz ja auch schon die Bündelung ein, das Chassis "sieht" die Kante kaum noch.
    -> das "Loch" bei 2 kHz kann durch die Schallwand nicht sinnvoll aufgefüllt werden!

    Wir haben daher eine Schallwand von 20 cm Breite angenommen, was die Kombination mit 17 cm Basslautsprechern erlaubt. Da muss man mit Boxsim schon ganz schön "tricksen" damit ein linearer Frequenzgang herauskommt:

    Die akustische Filtersteilheit beträgt etwa 24 dB/Oktave - es werden aber auch 9 Bauteilen benötigt. Das Boxsim-Modell kann hier von unseren Abonnenten heruntergeladen werden.

    Ab 2.5 kHz setzt aber die Bündelung ein, das sollte man bei der Wahl des Hochtöners und der Übergangsfrequenz berücksichtigen. Während die 15°-Kurve der 0°-Kurve noch fast perfekt folgt sinkt der Frequenzgang unter >= 30° deutlich ab, ab 45° auch recht gleichmäßig. Der winkelgewichtete Schalldruck fällt oberhalb von 1000 Hz kontinuierlich leicht ab, ab 4 kHz verstärkt sich die Tendenz deutlich.
    Der Wirkungsgrad ist mit knapp 89 dB/2.83V/m (auf schmaler Schallwand nach Entzerrung, s.o.) durchaus praxisgerecht für die Kombination mit einem einzelnen Basslautsprecher und einem Kalottenhochtöner.
    Bei der Sprungantwort fällt eine stark bedämpfte, 2. Spitze 0.227 ms (oder knapp 8 cm) nach der ersten Spitze auf. Dies könnte eine stehende Welle im Koppelvolumen sein. Das Zerfallspektrum sieht aber ordentlich aus, lediglich bei 800 Hz und 1500 Hz deuten sich ganz zaghaft schmale Resonanzen an.

  • Der Klirrfaktor:
    Während die Klirrkomponente K2 weitgehend linear verläuft und relativ stark vom Anregungspegel abhängt, verläuft K3 recht wellig und steigt mit dem Anregungspegel kaum an. K3 weißt bis 95 dB ein Maximum um 1500 Hz auf - dummerweise im Bereich der größten Ohrempfindlichkeit für K3 (s. Klirrfaktor - wie viel ist zu viel?)). Bei Pegeln unter 100 dB dürfte dies nach unseren Erkenntnissen und sehr kritischen Geräuschen hörbar sein.
    Bei einem mittleren Schalldruckpegel von 85 / 90 / 95 / 100 dB liegt K2 zwischen 500 und 3000 Hz im Mittel bei 0.49 / 0.85 / 1.52 / 2.92%. Für K3 gilt in diesem Bereich ein Mittelwert von 0.14 / 0.17 / 0.20 / 0.23%.
  • Die Pegellinearität:
    Darauf waren wir wegen der vorwiegend mechanischen Dämpfung sehr gespannt. Die Anregung geschah von 200 bis 20000 Hz mit einem Pegel von 2 bis 20 Vrms. Bei einem Wirkungsgrad von 89.3 dB/2.83V/m entspricht dies einem Schalldruckpegel von bis zu 106.3 dB in 1m. Oberhalb von 850 Hz verhält sich das Chassis fast perfekt, ab und an bleibt maximal 0.5 dB "auf der Strecke". Darunter sehen wir wieder die typische dynamische Verschiebung der Resonanzfrequenz (der Anregungspegel bei der Resonanzfrequenz ist wegen des Gleitsinus wesentlich höher als bei der Impedanzmessung mit dem Multisinus). Wenn sich die Resonanzfrequenz nach unten verschiebt gilt dies auch für das Impedanzminimum mit seiner maximalen Stromaufnahme - daher wird ein Chassis oberhalb seiner "Ruhe"-Resonanzfrequenz lauter. Darunter passiert der gegenläufige Effekt.
    Durch Begrenzung der Anregung auf 400 bis 4000 Hz kann dieser Effekt etwas gemildert werden. Dann bleiben bis 20 Vrms maximal 1 dB auf der Strecke.

HiFi-Selbstbau-Fazit:


Die DYNAUDIO D-76 AF war damals die erste 75 mm Kalotte auf dem Markt. Sie überwand die Einschränkung der damals beliebten 50 mm Kalotten, die mit einer zu hohen unteren Grenzfrequenz von mind. 1 kHz zu kämpfen hatten und damit hohe Anforderungen an die Qualität des Basslautsprechers setzten. Die Auslegung als 76 mm Kalotte mit Ferrofluid-Bedämpfung erlaubte zudem, dass DYNAUDIO seine Philosophie der 6 dB Frequenzweichen durchhalten konnte.
Messtechnisch schlägt sie sich gut, aber im Vergleich mit ähnlichen, moderneren Chassis (z.B. TB-Series DM-75 TB) nicht überragend. Mag sein, dass ihr das lange "Liegen" nicht so gut bekommen ist, oder die letzten 20 Jahre sind doch nicht ganz technologischer Stillstand gewesen. Insbesondere der Frequenzgang sieht auf einer unendlichen Schallwand nicht so gut aus und kann auch mit einer realistisch schmalen Schallwand kaum positiv beeinflusst werden.
Mit einer 6 dB-Weiche kann jedenfalls kein linearer Frequenzgang erzielt werden, was ja auch schon die Überarbeitung der DYNAUDIO Consequence5 gezeigt hat.
Dennoch war die D-76 AF seiner Zeit voraus. Damals wie heute gibt es kaum ein Konuschassis, dass den auch klirrtechnisch kritischen Frequenzbereich von 500 bis 2000 Hz so verzerrungsarm wiedergibt wie eine 75 mm Kalotte. Und genau deshalb hat sie einen so guten Ruf. Da es mittlerweile einige ernstzunehmende technologische Enkel gibt, besinnt man sich auf die Stärken dieser Chassisgattung zurück und setzt 75 mm Kalotten zunehmend in qualitativ hochwertigen 3-Wege-Lautsprechenr ein - wie wir auf der diesjährigen High-End beobachten konnten.

Zur Diskussion des D-76AF

Kommentare

2
doctrin
14 jahre vor
Nettes Ding, :cheer:

wahrscheinlich ist die MD140/2 von Dynaudio ein direkter technologischer Evolutionsträger, aber stellt selbst keine Revolution dar. :evil:

Bei 100dB sind sich TB und DA gleich auf...nur die Pegelabhängigkeit ist bei TB besser gelöst.

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