Bereits vor 3 Monaten hatten wir unseren reflexionsarmen Messraum vorgestellt (Unser reflexionsarmer Messraum).

Die ersten Messergebnisse an einer kompletten Box sahen noch nicht so viel versprechend aus, da die Bodenreflexion konstruktionsbedingt nur behelfsweise mit einem Schaumstoffblock unterdrückt werden konnte.

Eigentlich war der Raum ja auch für Chassistest konzipiert worden. Da sind die Chassis im Podest eingelassen, so dass sich zumindest das Thema Bodenreflexion nicht stellt.

Ja, und wo sind jetzt geplanten Chassistests? Tja, um ehrlich zu sein sahen auch die Messergebnisse des ersten Chassistest alles andere als gut aus, und wir haben einige Zeit gebraucht um das Problem nicht nur zu verstehen sondern auch abzustellen. Unser Ziel war es, durch die Anordnung der Absorber für Chassistest in 1 m Abstand bis etwa 150 Hz Freifeldbedingungen zu erreichen (maximale Abweichung +/- 1 dB). Erst den darunter liegenden Frequenzbereich wollten wir durch eine Nahfeldmessungen ergänzen. Dazu hatten wir uns Folgendes gedacht:

Die energiereichste Reflexion wird an der Decke stattfinden, denn dies ist der kürzeste "Umweg" zum Mikrofon und hier ist das Absorptionsmaterial direkt auf der Decke angebracht. Der direkte Weg zum Mikrofon beträgt 1 m, während der über die Decke reflektierte "Schallstrahl" 3.36 m (Abstand Podest -> Decke = 2.18 m) zurückzulegen und sich durch das Absorptionsmaterial an der Decke zu kämpfen hat. Besitzt der direkte Schallstrahl die Stärke 1, dann besagt das Entfernungsgesetz, dass die Reflexion unter Vernachlässigung des Absorptionsmaterials die Stärke 1 / 3.36 hat oder 20·Log10 ( 1 / 3.36 ) = -10.5 dB leiser ist. Für eine zusätzliche Pegelreduzierung sorgt dann noch das Absorptionsmaterial.

Wie wirkt denn nun ein Absorber? Im Prinzip wird in einem porösen Absorber (wie z.B. Mineralwolle oder Schaumstoff) Schallschnelle durch innere Reibung in Wärme umgewandelt. Am kritischsten sind im unteren Frequenzbereich die sog. stehenden Wellen (s. Artikel Warum stehen die Wellen hier rum?). Bei denen ist aber die Schallschnelle direkt an der Wand 0, ein poröser Absorber kann da also gar nicht wirken. Erst in einem Abstand von 1/4 der Wellenlänge tritt das erste Schnellemaximum auf, hier kann ein poröser Absorber also optimal wirken (genau deswegen haben wir unsere Absorber an den Seiten ja in 35 cm Abstand angebracht, aber dazu später mehr). An der Decke ist der Absorber aber direkt vor der Wand angebracht. Bei insgesamt 20 cm Absorberdicke liegt das Schnellemaximum bei senkrechtem Schalleinfall (0°) bei 425 Hz gerade 20 cm vor der Decke und wird also gerade noch vom Absorptionsmaterial optimal "erwischt". Bei schrägem Schalleinfall erhöht sich übrigens scheinbar die Dicke um den Faktor cos(Winkel), die Frequenz mit optimaler Absorption sinkt also um diesen Faktor. Nun wirkt der Absorber ja nicht nur bei 1/4 der Wellenlänge sondern auf der gesamten Strecke vom Schalleintritt bis zum Reflektor (wobei die Wirkung zum Reflektor hin immer weiter abnimmt), so dass schon etwa 1/6 der Wellenlänge für die volle Wirkung ausreicht.

Um zu berechnen, was mit der reflektierten Schallwelle passiert, wie stark sie also nach der Reflexion noch ist, muss man den Reflexionsfaktor des Materials kennen. Meist wird jedoch nur der Absorptionsgrad Alpha angegeben, eine energieproportionale Größe. Es gilt:

Absorptionsgrad Alpha = 1 - (Reflexionsfaktor R)²

Der prinzipielle Verlauf sieht bei einem porösen Absorber so aus:

Neben der Amplitude des reflektierten Strahls muss man auch auf die Phase achten. Je nach Phasenlage können sich der direkte und reflektierte Schallstrahl addieren oder subtrahieren. Dazu muss man jeweils den zusätzlichen Laufweg (z.B. 2.36 m) in Bezug zur Wellenlänge setzen. Dazu ein kleines Zahlenbeispiel:

  • Bei 100 Hz wäre die Wellenlänge 340 [m/s] / 100 [Hz] = 3.4 m.
  • Der "Umweg" von 2.36 m entsprächen demnach 100% * 2.36 / 3.4 = 69.4% Prozent einer vollen Wellenlänge.
  • Diese entspricht wiederum 360°. 69.4% davon sind 250°.
  • Bei 144 Hz entspräche die Wegdifferenz gerade der Wellenlänge, die beiden Schallstrahlen würden sich also vollständig addieren. Dasselbe gilt für ganzzahlige Vielfache dieser Frequenz (288, 432, 576 etc. Hz).
  • Bei 72, 216, 360, 504 etc. Hz entspräche die Wegdifferenz gerade der halben Wellenlänge (= 180°), es käme also zu einer Subtraktion der Schallstrahlen.

Mit einer Tabellenkalkulation lässt sich relativ einfach ausrechnen, was da genau passiert (zumindest, wenn man Nahfeldeffekte vernachlässigt):


-> zur Einhaltung der Vorgaben (150 Hz, +/- 1 dB) muss bei 20 cm Absorberdicke der Messabstand auf 50 cm verringert werden.


-> zur Einhaltung der Vorgaben (150 Hz, +/- 1 dB) muss bei 1 m Messabstand die Absorberdicke auf 40 cm erhöht werden. Dies muss jedoch nur lokal erfolgen.

Zu diesem Zeitpunkt wurden die Reflexion an den Seitenwänden vernachlässigt, da deren Wirkung nicht so ohne Weiteres vorhergesagt werden konnte. Der "Trick" bei der Anordnung von 35 cm vor dem eigentlichen Reflektor besteht darin, dass das Absorptionsmaterial nun bereits für tiefere Frequenzen seine optimale Wirkung entfalten kann, da diese ihr Schnellemaximum ja weiter entfernt vom Reflektor haben. Demgegenüber ergibt sich bei solchen Frequenzen eine geringere Wirksamkeit, bei denen das Schnellemaximum nun zwischen Reflektor und Absorber liegt. Bei einer Absorberdicke von 20 cm (16 cm Mineralwolle und 4 cm Noppenschaumstoff), einem Absorberabstand von 35 cm (-> mittlerer Absorberabstand 45cm) und einem Schalleinfallswinkel von 18° ist mit einer verstärkenden Wirkung bei etwa 180 Hz zu rechnen, während die Absorptionswirkung bei etwa 360 Hz reduziert sein sollte. In diesem Frequenzbereich wurde aber nach den Überlegungen zur Deckenreflexion schon mit einem unkritischen Verhalten gerechnet. Das sollte sich für die Kombination Decken-/Seitenreflexion aber leider als ein Trugschluss herausstellen. Die ersten Messungen sahen wesentlich schlechter als erwartet aus (alle Ergebnisse entfernungsbereinigt und relativ zur Messung in 10 cm):

-> beim geplanten Messabstand von 100 cm ergeben sich durch die Seitenreflexionen unakzeptabel hohe Abweichungen von +2.5/-4.5 dB.

Nach einigem "Herumprobieren" wurde zunächst versucht, den kompletten Messraum mit CARA zu simulieren. Leider mussten wir jedoch feststellen, dass CARA V2.2 nicht in der Lage war poröse Absorber mit Wandabstand korrekt zu simulieren! Teilt man einen Raum mit solchen Absorbern komplett in 2 Teile, dann ist "hinter" den Absorbern immer der Schalldruck 0!

Schließlich bliebt nichts Anderes übrig als den kompletten Messraum zu vermessen. Dazu wurde ein 40 x 40 x 40 cm großes Messraster im gesamten Innenbereich (ca. 200 x 200 cm) vermessen, wobei die Randpunkte 20 cm von den Absorbern entfernt lagen:

Der Lautsprecher war übrigens bei X = 100 cm und Y = 100 cm positioniert (3. Reihe, 3. Spalte), die animierten Werte wurden 80 cm über dem Boden gemessen. Die Messwerte sind 1/12 Oktavpegel bei den angegebenen Mittenfrequenzen. Idealerweise wäre die gesamte Fläche gelb, die entfernungsbereinigten Abweichungen also kleiner als +/- 1 dB.

Durch "Herumprobieren" konnte durch Positionierung eines 15x50x100 cm großen Schaumstoffblocks direkt vor dem mittleren "linken" bzw. "hinteren" Absorber eine Verbesserung erreicht werden. Schließlich gelang es auch ein einfaches Absorptionsmodel für poröse Absorber mit Wandabstand zu erstellen, das die beobachteten Effekte zeigt:

Der Effekt des Zwischenraumes hört leider nicht nach dem ersten Einbruch auf sondern erst dann, wenn der Absorber eine halbe Wellenlänge lang ist. Durch Ändern der Modell-Parameter wurde schnell deutlich, dass das Absorptionsverhalten durch Auffüllen des Hohlraums deutlich verbessert werden kann (grüne Kurve). Die Wirkung ist besser als die des vorher eingesetzten Schaumstoffblocks.

Es wurde daher beschlossen, im Bereich der "linken" und "hinteren" Seite sowie der eingeschlossenen Raumecke die Freiräume vollständig mit Mineralwolle aufzufüllen. Dadurch sollten sowohl die energiereichen Reflexionen bei der Chassismessung als auch bei der Lautsprechermessung (LS bei Punkt 5,5, Mikro bei Punkt 1,1) deutlich reduziert werden. Insgesamt wurden ca. 1.5 m³ Mineralwolle zusätzlich verbaut:

 

Schließlich wurde erneut der Einfluss des Messabstandes ermittelt. Bei einem Messabstand von 50 cm konnten die Abweichungen zur Messung in 10 cm Abstand oberhalb von 150 Hz unter 1.5 dB gehalten werden (typische Abweichung < 1 dB). Durch zusätzliche Anbringung eines Absorbers (s. u.) konnte die Abweichung schließlich auf unter 1 dB gedrückt werden. In Kürze werden wir unsere ersten Chassistests veröffentlichen, da kann man das Ergebnis der Verbesserungen dann sehen.

 


Licht und Schatten

Die eierlegende Wollmilchsau (Lagerraum für LS-Chassis + variable Akustik durch demontierbare, preiswerte Absorberelemente) hat ihre Zähne gezeigt! Ganz so schwierig hatten wir uns die Errichtung eines reflexionsarmen Messraumes doch nicht vorgestellt. Durch die Mehrzwecknutzung hat es doch deutliche negative Auswirkungen gegeben.

Trotzdem: in 50 cm Abstand kann man nun bis 150 Hz unter freifeldähnlichen Bedingungen messen. Für den darunter liegenden Frequenzbereich muss der Raumeinfluss durch einen geringeren Messabstand von 10 cm ausgeblendet werden. Dank der neuen Möglichkeit zur Pegelkalibrierung lässt sich das bei JustOct aber einfach kompensieren, so dass die Messkurven ohne weitere Umrechnungen direkt "aneinandergeklebt" werden können.

Von der erhöhten Absorption in der Raumecke dürften vor allem Messungen von kompletten Lautsprecherboxen profitieren. Beim nächsten Bauvorschlag werden wir die "neuen" Grenzen im Detail ausloten.

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