Auswirkung der Schallwandgeometrie auf den Frequenzgang eines Hochtöners

Schon oft sind wir gefragt worden "warum baut Ihr denn den Hochtöner unterhalb des Mitteltöners (TRIO)?" oder "warum sind die Chassis nicht genau in der Mitte der Box?". Auch steht immer wieder die Frage im Raum "die Messergebnisse sehen in den Zeitungen immer ganz anders aus als z.B. bei VISATON, warum ist das so?". Diese Diskussion kam auch wieder im Rahmen eines Lautsprecherwettbewerbs von HOBBY-HIFI und VISATON auf, da mein Beitrag (Contest) einigen durch seine ausgefallene Chassispositionierung auf der Schallwand aufgefallen war.

 

 

 

 

 

 

Anhand des 20mm Kalottenhochtöners VISATON G20SC, der für den Wettbewerb vorgeschrieben ist, möchte ich zeigen wie die Position auf der Schallwand, deren Abmessungen und diverse Kantenreflexionen auf den Frequenzgang und das Bündelungsverhalten des Chassis Einfluss nehmen.

Betrachten wir uns zunächst einmal die Messumgebung des Haaner Lieferanten VISATON. Bei VISATON werden alles Chassis in einem reflexionsarmen Raum (RAR) gemessen. Hochtöner sind dabei in eine sogenannte DIN-Schallwand montiert, eine Schallwand, bei der man sich irgendwann auf genau definierte Abmessungen und Chassisposition geeinigt hat.

Die Maße der Schallwand sind 165cm x 135 cm, das Chassis ist 60 cm und 52,5 cm von den Rändern entfernt.

Alle vernünftigen Lieferanten messen Hochtöner und die meisten anderen Chassis in einer solchen Wand. So erreicht man, dass sich die Messergebnisse miteinander vergleichen lassen, bzw. immer gleiche, definierte Verhältnisse bei der Messung vorzufinden sind.

Auf einer solchen Schallwand liefert der G20SC laut VISATON folgendes schöne Verhalten.

Wenn man nun den allgemeinen Modetrends folgt und diesen Hochtöner in eine kleine, schmale Standbox einbaut, erhält man folgendes simulierte (Boxsim) Verhalten.

Was ist passiert? Da der G20SC bis hinauf zu 10000 Hz ein nahezu perfektes Rundstrahlverhalten liefert, kommt es bei den Frequenzen, die in ihrer Wellenlänge zu den Maßen der Schallwand passen zu Anhebungen und Auslöschungen durch Reflexionen an den Kanten des Gehäuses und damit zu diesem recht ernüchternden Ergebnis im Frequenzgang.


Rundstrahlverhalten G20SC bei 5000 Hz

Rundstrahlverhalten des G20SC bei 10000 Hz

Also weg mit der Mode-Schallwand, eine DIN-Wand muss her. Mit dieser standardisierten Messvorrichtung erhalten wir dann folgendes Verhalten des Hochtöners:

Da sieht die Amplitude dann schon wieder so aus, wie VISATON das auf der Webseite oder im Prospekt verspricht. Durch die gewählte Auflösung von 65 dB bis 100 dB (VISATON 50 dB - 112 dB) zeigt die Grafik ein klein wenig "mehr" an als die von VISATON. Das Bündelungsmaß, ein Indikator für die Richtwirkung das Chassis auf der Schallwand, zeigt einen stetigen Anstieg zu höheren Frequenzen. Das ist durchaus nicht unwillkommen, werden doch Reflexionen z.B. auf einem Fliesen- oder Parkettboden bzw. an schallharten Raumwänden, zu höheren Frequenzen hin so ausgeblendet.

Die Simulation auf der DIN-Schallwand speichern wir nun in Boxsim als Referenz ab, so dass sie in Zukunft immer als Vergleich im Hintergrund hinterlegt ist.

Jetzt muss die Kuh aufs Eis....ähm der Hochtöner in die Modebox. Recht beliebt sind zur Zeit kleine, schnuckelige Standlautsprecher, wie z.B. die Topas von VISATON. In einem solchen Gehäuse (90 x 16.2 x 22.5, H x B x T) würde der mittig auf 80 cm Höhe montierte G20SC folgenden, simulierten Frequenzgang erzeugen.

 

Upps, da haben wir plötzlich einen satte Überhöhung um die 2000 Hz Marke, gefolgt von einem fast 4 dB Einbruch. Jemand ohne Erfahrung, der einen Hochtöner zum ersten Mal in einer solchen Box misst wird sagen "Was hat VISATON mir denn da verkauft?". Auch im Bündelungsverhalten ist der Anstieg (Überlagerung von Schallwellen) und der Einbruch (Auslöschung von Schallwellen) zu sehen. Alles in allem ein wenig befriedigendes Ergebnis.

Was macht HiFi-Selbstbau da immer? Richtig, die bauen den Hochtöner unterhalb des Mitteltöners ein, also 15 cm runter mit dem Teil.

 

Das zeigt doch jetzt schon wieder mehr in Richtung ursprünglicher Frequenzgang des Chassis, so richtig gut ist das aber immer noch nicht. Wenn man mit der Position des Chassis auf der schmalen Schallwand jongliert, bekommt man immer wieder andere, ähnliche Ergebnisse, so richtig gut wird es jedoch nicht.

Warum bauen die HiFi-Selbstbau-Leute so breite Boxen?

 

Die TRIO ist mit den Schallwandmaßen von 90 cm x 32 cm jetzt nicht gerade ein Schmalhans und daher gerade bei den Frauen nicht sehr beliebt. Es hat jedoch Gründe warum sie so ist, wie sie ist. Wie wir an der Simulation erkennen, ist die breite TRIO gegenüber der schmalen Topas viel eher in Richtung korrekter Frequenzgang. Beide Male ist der Hochtöner oben montiert. Auch das Bündelungsmaß des G20SC auf der breiteren Schallwand weicht viel weniger vom ursprünglichen Verlauf im Einsatzbereich des Hochtöners ab. Insgesamt ein Weg in die richtige Richtung, aber immer noch nicht genug. Montieren wir auch hier den Hochtöner visuell nach unten.

 

Das tendiert schon in die Richtung, die uns vorschwebt, so ganz zufrieden kann man aber damit noch nicht sein. Die kleine Anhebung bei 5000 Hz, nahe Reflexionen der Schallwellen an der oberen Kante sind weniger geworden. Die Erhebung bei etwa 3200 Hz, stärkere Reflexionen durch gleichen Abstand zu den Seiten, ist jedoch geblieben, hat sich nur ein wenig verändert. Was passiert, wenn wir den Hochtöner wie bei der TRIO aus der Mitte versetzen? Das ist keine Hexerei und wird von einigen Herstellern auch in Serie so produziert.

 

Jetzt sind wir fast da, wo der Ausgangspunkt (DIN-Schallwand) gewesen ist. Durch das Versetzen des Hochtöner aus der Mitte der Schallwand verteilen sich die Reflexionen besser, sind nicht auf "einer" Frequenz und damit schwächer. Wir haben nicht mehr eine stärkere Reflexion bei ca. 3200 Hz, sondern eine schwächere bei etwa 2800 Hz und eine bei 3500 Hz. Die Erhöhung in diesem Bereich wird breiter, aber nicht mehr so stark. Jetzt hat die TRIO aber auch noch schräge Kanten, wofür sind die denn?

 

Wow, jetzt sind wir wieder da angekommen, wo wir mal gestartet sind, der Hochtöner zeigt endlich wieder das Verhalten, das VISATON uns verkauft hat. Mit diesem Gehäuse, der Anordnung der Chassis und den abgeschrägten Ecken wird klar, dass unser Gehäuse sehr wenig hinzu macht, das wir später durch aufwendige Filter wieder wegzaubern müssten. Wer es wirklich ernst meint mit der perfekten Selbstbaubox, kann an diesen Dingen nicht vorbeischauen und muss sie in die Konstruktionsüberlegungen unbedingt einbeziehen.
Klar dürfte auch sein, dass man das Aussehen eines fertigen Lautsprechers und die Position der Chassis nicht beliebig verändern kann ohne Einfluss auf das Gesamtergebnis zu nehmen. Die oft gestellte Frage "kann ich das Gehäuse auch schmaler, aber dafür höher machen?" erübrigt sich also, denn dann wäre auch eine Neuabstimmung der Weiche erforderlich.

Inwieweit das zu eventuell extremen Klangveränderungen führt, wissen wir auch nicht. Wir kennen niemanden, der eine solch aufgebaute Box mit einer schmalen, aber durch Filter entzerrten Box verglichen hat. Andererseits spricht das logische Denken dafür, Fehler die nicht da sind, muss man auch nicht wegfiltern und sind somit auf keinen Fall hörbar.

Die hier gemachten Gedanken gelten für jedes Chassis, das Frequenzen abstrahlt, die kleiner oder gleich der Wellenlänge sind, die zu den Gehäuseabmessungen passen. Auch sind sie für jedes Chassis, ob Mittel- oder Hochtöner, erneut zu betrachten. Nicht jeder Mitteltöner funktioniert am besten oben in der Box. Tiefe Töne (Bässe) mit 10 m Wellenlänge kümmern das Gehäuse nicht, die Tieftöner kann man also relativ frei ins Gehäuse einbauen, wenn man es nicht übertreibt. Zu bemerken ist hier auch noch das alle Simulationen ohne jegliche Filterung gemacht wurden, mal also allein mit der Position des Chassis auf der Schallwand eine recht starke Verbesserung, oder eben eine Verschlechterung des Frequenzganges erzielen kann.

Es sollte auch erwähnt werden das man mit schallführenden Maßnahmen wir Hörner oder Waveguides den Einfluss des Gehäuse s auf den Frequenzgang des Chassis mindern kann, aber warum kompliziert wenn es auch einfach geht?

Kommentare

Stefan Dellin
10 jahre vor
danke, wirklich sehr aufschlußreich :-)
wolfgang520
10 jahre vor
Wie bereits beschrieben ist für die Linearität des Frequenzganges nicht nur die Chassisposition, sondern auch die Kantengestaltung von Bedeutung. Ich habe dazu einige Versuche gemacht und konnte feststellen, dass mit einer horizontal und vertikal angeschrägten Kante die besten Ergebnisse erzielt werden konnten.
Näheres ist auf meiner Internetseite zu lesen:
http://www.lautsprecher-berlin.de/schallbeugung.html

Gruß

Wolfgang
1
Padder
12 jahre vor
Vielen Dank für diese ausführliche und mit messergebnissen unterfütterte Erklärung.
Alles zum Glück noch vor dem ersten Anlegen der Stichsäge ... ;-)

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