Sentry III aktivELECTRO VOICE Sentry III - passiv gegen aktiv im neuen Hörraum HS3 (= CLC)

Im 1. Teil der Artikelserie haben wir neben ein paar allgemeinen Informationen zur Sentry III und dem Ziel der Untersuchungen (Vergleich passiv/aktiv) erste Messergebnisse präsentiert (Impedanzmessungen an der Gesamtbox und Frequenzgang am Hörplatz im Hörraum HS1 und im Nahfeld). Das wesentliche Zwischenergebnis war, dass sich die beiden "weißen" Boxen W1 und W2 deutlich von den nußbaumfarbenen bzw. "braunen" Boxen N1 und N2 unterscheiden.

Im 2. Teil der Artikelserie haben wir die Frequenzweichen analysiert und Ursachen für die Unterschiede zwischen den beiden "weißen" Boxen W1 und W2 und den "brauen" Boxen N1 und N2 gefunden (Unterschiedliche Bauteilewerte und -qualitäten). Damit konnten wir klären, welche der beiden Gruppen "serienmäßiger" sind.

Im 3. Teil der Artikelserie haben wir uns auf die Tieftöner der Sentry III konzentriert, um die sich viele Legenden ranken - z.B. welcher denn nun der "richtige" ist. Wir haben die TSPs der eingebauten Chassis mit denen des B15 bzw. DL15W verglichen und alle 3 Chassis virtuell in das Gehäuse der Sentry III eingebaut.
Im letzten Teil der Artikelserie messen wir den Frequenzgang der Einzelchassis ohne Weiche am Hörplatz und zeigen, wie wir die digitale Frequenzweiche des HYPEX FusionAmp FA253 eingestellt haben, um einen ausgewogenen Frequenzgang am Hörplatz zu erhalten.

 

Zunächst mal die passive Weiche zur Ansicht

Da kann man schonmal Schütelfrost bekommen, aber das war damals so. Wir erinnern uns an das Innenleben einer superteuren Infinity Reference Standard IRS / V, die hatte auch so einen Drahtverhau um die Chassis mit Signalen zu beliefern. Also raus damit und Hypex dran.

Schalldruckmessungen im CLC:

Zunächst wurden die Chassis ohne Weiche am Hörplatz gemessen (unkalibriert):


-> Tief- und Mitteltöner verhalten sich weitgehend gleich, aber die Hochtöner unterscheiden sich deutlich
-> die Mitteltöner gehen bis 600 Hz runter, der Verlauf bis 3.5 kHz ist aber recht wellig (+/- 3 dB)
-> die Hochtöner fallen oberhalb von 7 kHz mit 14 dB/Oktave ab, oberhalb von 14 kHz sogar mit 50 dB/Oktave

Die Trennfrequenzen der passiven Frequenzweiche wurden übernommen. Da sich Tief- und Mitteltöner der linken und rechten Box am Hörplatz weitgehend gleich gemessen haben, wurde für beide Boxen die Summe aus linker und rechter Box verwendet. Dazu wurde jeweils unkorreliertes Rauschen verwendet, wobei die Anregungspegel pro Kanal jeweils um 3 dB abgesenkt wurden. Die Hochtöner wurden individuell entzerrt.

Entwicklung der aktiven Frequenzweiche:

Wir haben wieder unser Tool genutzt, welches wir schon bei der 4kantiv verwendet haben. Damit sehen die direkte Messung und der simulierte Filter dann so aus:

Nun müssen die Parameter noch von Hand in die HYPEX-Software übertragen werden, und dann kommt noch das Thema "Time Delay" (Zeitversatz).

Zeitversatz der Chassis bei der Sentry III:

Bei der Sentry III sind die Chassis ja nicht alle schön übereinander angeordnet, sondern der Hochtöner sitzt rechts vom Tieftöner und unter dem Mitteltöner - und zwar auf beiden Boxen. Auf beiden Boxen? Ja, ein spiegelverkehrter Aufbau wäre wohl zu aufwändig gewesen, oder?

Die Mittelpunkte der Chassis liegen bei den folgenden Koordinaten (0,0,0 ist die linke, untere Ecke des Gehäuses):

  X [mm] Y [mm] Z [mm]
Tieftöner 240 300 -110
Mitteltöner 365 750 -385
Hochtöner 515 473 -75

Durch den unsymmetrischen Aufbau ergeben sich je nach Boxenabstand, Hörabstand und Ohrhöhe unterschiedliche Laufzeiten, die in der digitalen Frequenzweiche entsprechend korrigiert werden müssen. Bei einem Boxenabstand von 1840 mm (Innenseiten der Boxen), einer Ohrhöhe von 1000 mm und einem Hörabstand von 2500 mm zur Verbindungslinie der Vorderkanten der Lautsprecher ergeben sich folgende Orts- bzw. Zeitversätze:

  dX [mm] dY [mm] dZ [mm] Abstand [m] dMT [m] dMT [ms]
Ohr -> TT L -1410 700 2610 3.048 0.120 0.350
Ohr -> TT R 1160 700 2610 2.941 0.227 0.663
Ohr -> MT L -1285 250 2885 3.168 0.000 0.000
Ohr -> MT R 1285 250 2885 3.168 0.000 0.000
Ohr -> HT L -1135 527 2575 2.863 0.305 0.890
Ohr -> HT R 1435 527 2575 2.995 0.174 0.506

Das HYPEX-Modul arbeitet intern mit einer Abtastfrequenz von 88200 Hz, daher müssen die Zeitverzögerungen in Schritten von 1/88200 s = 11.3 uS angepasst werden. Und so sehen dann die Einstellungen in der HYPEX-Software aus:

Gerade im Bassbereich sind sehr starke Anpassungen an die Raumakustik nötig, im Mitteltonbereich an den recht welligen Frequenzgang und im Hochtonbereich an den individuellen Frequenzgang des Hochtöners. Diese Filterverläufe gelten natürlich nur mit DIESEN Sentry III bei DIESER Aufstellung in DIESEM Raum - sobald man ein Element ändert ist eine Neuabstimmung nötig :-(

Vergleich passiv gegen aktiv am Hörplatz:

Mit diesen Einstellungen misst sich das Ganze so:


-> "Malen nach Zahlen" hat mal wieder geklappt!

Und so messen sich dann die beiden Boxen einzeln am Hörplatz:

Wir bevorzugen ja einen kontinuierlich abfallenden Frequenzgang (ca. -3 dB/Dekade) am Hörplatz (grüne Kurve).

Und wie misst sich die passive Variante unter gleichen Bedingungen?


-> es ist ein vorlauter Mittel- (750 und 1900 Hz) und Hochtonbereich zu erwarten

Warum misst sich die Sentry III in unserem Hörraum so schlecht? Zum einen steht sie nicht direkt an der Wand (wie vom Hersteller geplant und in vielen Räumen auch so zu sehen), weil unser neuer Hörraum im Bereich der rechten Box wegen eines Betonpfeilers einen Vorsprung hat. Im 1. Teil hatten wir in unserem "alten" Hörraum etwas mit der Aufstellung experimentiert:

Bei 5 (grün) bzw. 24 cm (blau) Wandabstand ergab sich dort der ausgewogenste Verlauf unterhalb von 110 Hz (im Vergleich zur relativ freien Aufstellung an der Standardposition), aber der Basspegel stiegt dadurch nicht breitbandig an.

Woran kann es dann liegen? Die Nachhallzeit unseres Hörraums ist relativ niedrig und zwischen 100 und 10000 Hz weitgehend linear. Als die Sentry III auf den Markt kam hatte man Teppichboden, schwere Vorhänge und eine riesige Wohnzimmergarnitur -> die Nachhallzeit war im Bassbereich größer (-> mehr Pegel) und im Hochtonbereich geringer (-> weniger Pegel). Außerdem hatten wir damals alle die "böse Taste" mit der Aufschrift "Loudness" gedrückt, die eine gehörrichtige Anhebung der tiefen und hohen Frequenzen bewirkte:


Quelle: https://www.radiomuseum.org/

Da die Sentry III einen sehr hohen Wirkungsgrad hatte kam man selten in Verlegenheit den Verstärker voll aufzudrehen, sondern bewegte sich eher im unteren Pegelbereich - und erhielt so mit der Loudness-Korrektur eine Bass- bzw. Höhenanhebung von 14 bzw. 4 dB - was dem vorlauten Mitteltonbereich sicher entgegen kam . . .

Hörermeinungen:

In den letzten Wochen hatten zahlreiche Besucher die Möglichkeit, beide Varianten zu vergleichen. Insgesamt waren es sogar 4 Varianten, denn sowohl die passive als auch die aktive Variante wurde am Hörplatz noch mit Dirac eingemessen (natürlich mit derselben Zielfunktion). Uns interessierte in diesem Zusammenhang vor allem:

- wie unterscheiden sich die passive und die aktive Variante (jeweils ohne Dirac)?
- was bringt die Einmessung mit Dirac bei der passiven bzw. aktiven Variante?
- wie unterscheiden sich die passive und die aktive Variante, NACHDEM sie mit Dirac eingemessen wurden?

Viele Leute denken ja: "egal welche Box man nimmt, mit Dirac eingemessen klingen nachher alle gleich!". Wenn dem so wäre würde eine aufwändige Aktivierung wenig Sinn machen, dann müsste man einfach nur eine Über-Alles-Entzerrung mit Dirac machen und aus dem schmuddeligsten Aschenputtel wird ein Dornröschen.

Aber wenn man sich die Kommentare der Hörer durchliest wird klar, dass das so nicht funktioniert:

- die passive Variante wurde in der Regel als zu vorlaut im Mittel-/Hochtonbereich empfunden, die räumliche Abbildung war irgendwie zerfranst, nicht fokussiert
- mit Dirac wurde die tonale Balance deutlich besser, auch die Fokussierung war deutlich besser
- die aktive Variante klang tonal schon sehr ausgewogen, die Fokussierung nahm noch einmal zu, alles klang wie aus einem Guss
- mit Dirac gewann die Sentry III vor allem im Bassbereich noch etwas hinzu, alles klang noch etwas homogener und stimmiger

 

Fazit:

Die Electro Voice Sentry III ist Lautsprecher-Klassiker der Kategorie "Groß-Lautsprecher". Der Wirkungsgrad wird mit 97 dB/2.45V/m angegeben (Mittelwert 300 bis 2000 Hz), daher wird die Sentry III auch gerne mit Röhrenverstärkern kombiniert.

Die Wiedergabe von klassischer Musik ist nicht unbedingt die Domäne der (passiven) Sentry III - dafür macht sie mit Rock- oder Jazzmusik umso mehr Spaß ;-)

Ins Auge fällt besonders das fast 70 cm breite Mitteltonhorn - das leider nur von einem Treiber mit 2" Schwingspulendurchmesser und einem Halsdurchmesser von 1" befeuert wurde (das würde heute als Hochtöner durchgehen) und "nur" bis 600 Hz runter geht. Der Frequenzgang zeigt zwei Überhöhungen bei 750 und 1900 Hz und ist eigentlich nirgendwo sonderlich linear - das geht heute wesentlich besser! Immerhin hat es die letzten 40 Jahre gut überstanden und zeigt nur eine geringe Serienstreuung. Der Mitteltöner übernimmt den Frequenzbereich von 600 bis 3500 Hz, eine Spanne von etwa 6:1.

Danach fällt der 38cm durchmessende Tieftöner auf, um den sich viele Legenden ranken. Er übernimmt den Frequenzbereich von 40 bis 600 Hz - immerhin eine Spanne von 15:1 - und damit den größten Teil des übertragenen Musikspektrums von 40 bis 14000 Hz (= obere Grenzfrequenz des Hochtöners)! Dadurch erklärt sich seine große Wichtigkeit für den Gesamteindruck - und damit die Legendenbildung.

Den Hochtöner muss man auf der Frontplatte fast suchen. Er hat einen Schwingspulendurchmesser von 1" und übernimmt den Frequenzbereich von 3500 bis 14000 Hz, eine Spanne von 4:1 und damit den geringsten Anteil des Musikspektrums. Die insgesamt 4 Hochtöner zeigen eine starke Exemplarstreuung, so dass die Frequenzweiche im Hochtonbereich individuell nagepasst werden muss.

Nach heutigen Maßstäben weißt die Sentry III als HiFi-Lautsprecher zahlreiche Mängel auf: ist die Kombination eines Konustieftöners mit einem relativ langen Mitteltonhorn und einem deutlich kürzeren Hochtonhorn im Zeitbereich ohnehin schon kritisch, sorgt die nicht spiegelbildliche Bauweise für zusätzliche Fehler im Zeitbereich.

Die Auslegung der passiven Frequenzweiche mit Ferritspülchen entspricht auch nicht heutigen Gepflogenheiten. Da mag es viele Besitzer einer Sentry III in den Fingern jucken, diese "schlechten" Bauteile durch vermeintlich "bessere" Bauteile im Wert von mehreren Hundert € zu ersetzen - was zwar das lineare Verhalten der Spulen verbessern dürfte, aber das Grundproblem der Sentry III - vorlauter und ungleichmäßiger Mittel- und Hochtonbereich und vor allem die gravierenden Probleme im Zeitbereich (die Hauptursache für das Schwächeln bei klassischer Musik) - in keinster Weise adressiert.

Unserer Meinung nach ist es wesentlich sinnvoller, das Problem "passive Frequenzweiche" komplett zu umgehen und die Sentry III zu aktivieren. Dann kann man nicht nur den Frequenzbereich linearisieren und die Zeitprobleme durch entsprechende Verzögerung von Tief- und Hochtöner umgehen, sondern gleich auch noch die Eigenarten des Wiedergaberaums im Bassbereich korrigieren und so einen ausgewogenen Frequenzgang am Hörplatz erreichen.

Dann macht die Sentry III endlich mit jeder Art von Musik Spaß, auch bei höchsten Lautstärkepegeln - was will man mehr!

 

Kommentare

Kapton
1 jahr vor
Vielen Dank für die Berichte, besonders der Teil über die Hypexe hat mich mal wieder geflasht, großartige Arbeit von euch.
ZwackHKH
1 jahr vor
Servus Thomas & Theo,
Danke für den schönen Bericht.
Die akriebische Aufarbeitung beu Euch ist einfach nur "SPITZE"
FlorianK
1 jahr vor
Der vierstellige Bericht ist in Summe wirklich eine Erleuchtung. Und zwar in vielerlei Bezug. Die Erinnerung an einen Klassiker der Geschichte geschrieben hat und viele Mythen barg. Ich konnte mich noch an den Lautsprecher erinnern und auch das er in aller Munde war als einen Derjenigen, die man sich als "Haben - wollen" in die Kaufliste schrieb. Nun - nach dem Bericht und auch nach mehrfachem anhören ist meine Liste ......etwas dünner geworden. Optisch ist dieser grobe Klumpen an Lautsprecher immer noch in meiner Liste - er hat für mich einen Charme. Mir gefällt die Box immer noch - wie viele der Klassiker. Klipschorn - LaScala - Altec Valencia und viele mehr. Klanglich hat sich meine Liste allerdings geändert. Die passive Variante der SentryIII ist für mich nunmehr ein NoGo. Auf keinen Fall würde ich die Box haben - wollen. Dagegen als Aktiv - Variante schon. Dort wäre der Reiz des Klassischem Aussehens vermischt mit einer dynamischen Wiedergabe. Also passiv Nein- aktiv ein geschmeichelt ja. In Summe sehe ich aber Vorteile mehr in Richtung einer neu konstruierten Box. HSB hat jetzt so viele absolute Power - Boxen gebaut - Beraten- Umgesetzt - das man Besseres findet. Ich würde - vielleicht sogar überlegen in die SIII Gehäuse vielleicht andere Chassis einzusetzen oder die Box unter der Bespannung mit neuer Schallwand und Chassis zu versehen.
Cossart
1 jahr vor
@Theo & Pico: Wie lange kann man die aktivierte Sentry noch im CLC hören?
Theo
1 jahr vor
Hi,

das wissen wir nicht. Kann täglich passieren das der Besitzer anruft und sie abholen will. Wenn Du in der Nähe bist, einfach fragen ob sie noch da ist.
Dirty Harry
1 jahr vor
Hallo Theo & Pico, vielen Dank für die detailierte Beschreibung der Vorgehensweise, das macht Ihr immer wirklich ganz toll. Kann man auch sehr gut als "Leitfaden" für eigene Entwicklungen benutzen. Schön das Ihr dank Aktivierung die Sentry III in die Gegenwart bringen konntet. Den Besitzer wird es freuen. :-)

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