Haben Sie schon den neuen CONRAD-Katalog? OK, das Teil ist zwar nicht gerade die Bibel für den Lautsprecher-Selbstbauer, aber man findet dort immer wieder interessante und preiswerte Chassis oder komplette Boxen im HiFi- und PA-Bereich. So auch im neuen Hauptkatalog 2005, bzw. dem ganz vorne eingehefteten TopSeller-Prospekt. Als ich die Seite T7 aufschlug, verschlug es mir die Sprache: da gab es doch eine mittelgroße Standbox (90H x 26B x 28.5T) mit 2 x 20er Bässen, 13er Mitteltöner und 25er Kalotte in Buche/Alu-Design für 99 € - das Paar!!!. Für den Preis und die Optik mussten wir uns die einfach mal genauer angucken, da gab's kein Halten.

Also ab zu CONRAD. Tja, und da standen sie und sahen echt lecker aus (auf die akustische Vorführung haben wir mal verzichtet, dafür ist der Laden nicht wirklich ausgelegt) - ab zur Kasse und die Teile eingeladen. Erster Eindruck: schön verpackt, die halten auch den Transport mit einer Spedition aus!

Der erste Eindruck ist für 99,- Euro (in Worten neunundneunzig) das Paar einfach sensationell. Die Verarbeitung ist mehr als Durchschnitt und würde so manch teurer Markenbox gut zu Gesicht stehen. Unter uns Selbstbauern dürfte es nur wenige geben, die ein Gehäuse so hinbekommen, dafür aber nicht zu dem Preis.

Zuhause angekommen wurden die Teile gleich angeschlossen - und es kam, wie es kommen musste: der Sound hielt nicht mit der Optik mit (man soll ja auch bei Frauen/Männern nicht immer nur nach dem Aussehen gehen . . .). Die Bässe waren deutlich zu voll, die Mitten und insbesondere die Höhen kamen sehr zurückhaltend - aber, und das muss hier an dieser Stelle deutlich betont werden - ohne auffällige Verfärbungen. In einem Wohnraum, der 60 m² misst, mindestens 2 m von jeder Wand weg aufgestellt, könnte diese Abstimmung eventuell sogar greifen. Mit unserer Test-CD, die uns bei allen Hörsessions begleitet, fiel sofort auf, dass in diesem Lautsprecher mehr steckt. Als Selbstbauer weiß man sich ja zu helfen, erst mal ein paar dicke Wollsocken ins Bassreflexrohr gestopft und - immer noch zu fett. Tja, da war nicht nur zuviel Tiefbass, der gesamte Grundtonbereich war aufgedickt. Hm, gleich zurückbringen? Nee, lieber mal das Messgerät anwerfen und den Frequenzgang checken:

Erste Messungen
 

Ah ja: "what you see is what you hear"! Bassüberhöhung, 3 dB Stufe bei 2000 Hz, darüber einigermaßen ausgewogene, aber starke Richtwirkung -> dumpf! Es handelt sich übrigens um Messungen mit Raumrückwirkungen, daher "zappelt" der Frequenzgang etwas, besonders im Bassbereich :-( .

Hinweis: Dadurch, dass man das Mikrofon sehr nah an ein Chassis hält, kann man die anderen Chassis weitgehend ausblenden und einen schnellen Überblick bekommen, welches Chassis welchen Frequenzbereich übernimmt!
Wer hätte das gedacht:

  • die Bässe haben eine satte Überhöhung um 100 Hz und werden ab 300 (?) Hz nur leicht mit 6 dB/Oktave gefiltert. Daher sind sie bis ca. 800 Hz lauter als der Mitteltöner (durch den höheren Abstand zum Bass und die Tatsache, dass nur ein Bass gemessen wurde, muss die Kurve für den Bass eigentlich um mindestens 6 dB angehoben werden!).
  • der Mitteltöner wird ab 1000 Hz nur sanft nach unten hin getrennt (6 dB/Oktave), so dass die Eigenresonanz bei 100 Hz noch voll durchschlägt und ansonsten bis zum bitteren Ende bei ca. 10k Hz läuft.
  • der Hochtöner kommt ab 6k Hz dazu.
Da ist es kein Wunder, dass sich die Chassis je nach Messposition (80, 85 bzw. 90cm über dem Boden, das Zentrum des Hochtöner ist 83 cm über dem Boden) ganz unterschiedlich überlagern!

Aber warum machen die das, wo doch jeder Lautsprecher-Selbstbauer weiß, dass man so eine Kombination bei ca. 300 und 3000 Hz trennt, damit man den wichtigen Mitteltöner im optimalen Arbeitsbereich betreibt? Die Antwort ist ganz einfach: Kosten und Haltbarkeit! Ein guter Klang ist zwar wichtig, aber aus Herstellersicht ist es viel schlimmer, wenn eine Box bei hoher Lautstärke kaputt geht. Aus Kostengründen (Einbau) wird die Frequenzweiche direkt mit dem Anschlussfeld befestigt. Da passen aber nicht allzu viele Bauteile drauf -> es sind nur geringe Filtersteilheiten realisierbar. Damit dennoch eine hohe Belastbarkeit gewährleistet ist, muss die Trennfrequenz nach oben verschoben werden (was netterweise auch die Bauteile kleiner und damit preiswerter macht). Tja, so kommt das. Da ist im Prinzip auch nix gegen zu sagen. Als Lautsprecher-Selbstbauer kann man das aber besser lösen.

Ob das wirklich alles so stimmt, lässt sich durch einen Blick auf die Frequenzweiche kontrollieren. Dazu muss man einfach nur die vier Kreuzschlitzschrauben des Terminals lösen und es leicht vorziehen:

Tja, dachte ich es mir doch: 5 Bauteile, davon allein 3 für den Hochtöner (immerhin)!

Und wo die Weiche schon so vor einem liegt, kann man auch noch gleich die Spannung über den Chassis messen. Dabei muss man übrigens sehr vorsichtig sein, damit man nichts kurzschließt. Sowohl der Verstärker (schwarze Anschlussklemme) als auch die Soundkarte (Abschirmung) sind mit Masse verbunden! Sollte die Abschirmung des Anschlusskabels der Soundkarte mit dem Pluspol des Verstärkers verbunden werden, war's das in der Regel für die Soundkarte! Das kann Laptopbesitzern bei Akkubetrieb nicht passieren ;-)


Ah, da sieht man die Effekte doch mal ganz sauber (ohne Raumrückwirkung):

  • die Überhöhung der Bässe bei 100 Hz (allein elektrisch 2 dB) und die sehr geringe Filterwirkung (nur ca. 2.5 dB/Oktave)
  • die geringe Filterwirkung beim Mitteltöner (die Resonanzfrequenz "guckt" noch 10 dB durch und ist nur 12 dB abgeschwächt)
  • die vorbildliche Trennung des Hochtöners bei 6000 Hz und dessen Absenkung um ca. 1.5 dB durch den Vorwiderstand
So, jetzt kann man auch mal gleich den Wirkungsgrad ausrechnen. Bei Anregung v50 werden etwa -35 dBV pro 1/12 Oktave eingeleitet und bei Anregung v60 (= 10 dB lauter) werden um 1000 Hz, sagen wir mal 60 dB Schalldruck, in 1m Abstand produziert. Bei einer Anregung von v50 wären das also 50 dB Schalldruck -> 85 dB pro 1 V = 91 dB/2V = 91 dB/W/m an 4 Ohm und bei 1m Messabstand. Also gar nicht mal so leise, damit kann man schon eine kleine Party feiern!

Die ganze Messaktion hat eine gute halbe Stunde gedauert und jetzt wissen wir: Mit einer aufwendigeren Weiche sollte sich die dumpfe Abstimmung beheben lassen. Bis jetzt haben wir eigentlich nur das Anschlussfeld gelöst. Im nächsten Schritt möchten wir die Chassis aber einzeln in 1m Abstand messen, um deren Frequenzgang mit und ohne Weiche zu kennen. Dazu haben wir der Einfachheit halber die Anschlussdrähte von der Weiche abgelötet:

Detailmessungen
 

Der Hochtöner misst sich vorbildlich, auch der Mitteltöner sieht sehr breitbandig aus, wird allerdings ab 2 kHz leiser und fängt ab 3000 Hz an zu bündeln. Hier ist also eine Trennfrequenz zwischen 2 und 3 kHz angesagt. Beide Bässe zusammen sind bei 500 Hz ca. 5 dB lauter als der Mitteltöner. Da ist zu überlegen, ob man sehr tief trennt oder nur einen Bass betreibt, die Bassreflexöffnung verschließt und den anderen als Passivstrahler arbeiten lässt. Mal sehen, was die Thiele-Small-Parameter dazu sagen. Dazu wurden erst einmal die Impedanzverläufe gemessen:


4 Ohm Bassreflexbox mit 40 Hz BR-Abstimmfrequenz

Damit ergeben sich für einen Bass folgende TSPs:

Fs 43.8 Hz
Qms 3.44
Qes 0.837
Qts 0.673
Rdc 6.69 Ohm
Sd 222 cm²
Mms 26.0 g
Cms 0.509 mm/N
Vas 35.6 dm³
Eta 88.2 dB/2.83V/m

Uups, so ein Chassis gehört aber nicht in eine Bassreflexbox (EBP = Fs/Qts = 65)!

Damit ergeben sich für den Mitteltöner folgende TSPs:

Fs 89.6 Hz
Qms 4.34
Qes 1.62
Qts 1.18
Rdc 5.07 Ohm
Sd 90 cm²
Mms 8.8 g
Cms 0.36 mm/N
Vas 4.1 dm³
Eta 86.5 dB/2.83V/m

Na ja, das Qts ist zwar recht hoch, aber 15.7 l Volumen sind doch etwas reichlich (Brett zwischen Mitteltöner und oberem Bass)! Ggf. könnte man das Zwischenbrett in eine Ringversteifung "verwandeln" und ein kleineres Volumen ankoppeln (z.B. 4l). Dadurch ließen sich etwa 10 l für das Bassvolumen gewinnen.

Fs 1214 Hz
Qts 1.16
Rdc 5.49 Ohm
Eta 86 dB/2.83V/m (aus Kurve)

Auch der Hochtöner hat ein recht hohes Qts und daher eine Anhebung von ca. 2 dB um 2000 Hz. Diesem Effekt muss weichentechnisch entgegengewirkt werden.

Nächste Schritte

Sorgenkind ist nach wie vor der Bass. Zur Zeit sitzen 2 Bässe in etwa 35 l und sind auf 40 Hz abgestimmt. Alternativ kann man das Bassreflexrohr verschließen (beide Bässe laufen parallel auf ein geschlossenes Gehäuse oder der 2. Bass läuft als Passivstrahler). Außerdem könnte man versuchen, das Volumen um 10 l zu vergrößern. Das folgende Bild zeigt die Bassreflex-Variante in 35 (dick) und 45 (dünn) l Gehäuse mit 40 bzw 35 Hz Abstimmfrequenz (gleiches Rohr):

Und jetzt geschlossen (35 l = dick, 45 l = dünn):

Und jetzt Bassreflex (35 l, dick), geschlossen (45 l, dünn) und Passivstrahler (45 l, dünn, ca. 6 dB leiser da nur 1 Chassis):

Beim Gehäuse gibt es noch eine weitere Schwachstelle. Beim "Knöcheltest" klingt das Gehäuse recht stark

Hier noch einmal ein Vergleich der gemittelten Spektren:

Da das Gehäuse schon aus 16mm MDF aufgebaut und mit einem Trennbrett und einer Kreuzstrebe ausgestattet ist, hilft nachträglich nur ein Bekleben mit Bodenfliesen. Mal schauen, wie sich der Klopftest dann anhört.

So weit, so gut. Jetzt muss nur noch eine neue Weiche entwickelt werden.

Wie wir weiter oben schon geschrieben haben, schätzen wir den Mitteltöner als sehr breitbandig ein, und die Einzelmessungen sollten das auch bestätigen. Wir waren allerdings extrem erstaunt als wir diese Einzelmessung im Gehäuse und Hörraum vor uns hatten und sahen, wie breitbandig dieses Chassis zu verwenden ist! Wir geben an dieser Stelle gerne zu, dass wir uns zunächst nur ungläubig anschauten und an einen Messfehler glauben wollten. Allerdings tat uns das Chassis den Gefallen zum Glück nicht.

Da wir auch schon gespannt sind wie ein Flitzebogen auf die ersten Ergebnisse der Weichenentwicklung, haben wir ein wenig herumexperimentiert und sind recht schnell auf eine Weichenschaltung gekommen, die einen sauberen RollOff erzeugt und die Membranresonanzen oberhalb von 4 kHz sehr gut bedämpft.

Neugierig geworden haben wir sofort den Hochtöner angeschlossen um zu sehen, ob wir ihn an den Mitteltöner angepasst bekommen.

Wir konnten nun schon ahnen, dass uns da was Besonderes begegnet, denn 2 Lautsprecher, die sich so hervorragend ergänzen, findet man nur sehr selten. Der Hochtöner ist durch die 18 dB Filterung auch bei hohen Lautstärken hinreichend gegen Zerstörung geschützt, und der Mitteltöner fügt sich perfekt mit dem Hochtöner zu einem Bild zusammen.

So, als erstes Zwischenergebnis sollte das reichen! Als nächstes werden versuchen den Übergang zwischen Bass und Mitteltöner ähnlich perfekt hinzubekommen und uns dann wieder melden.

Wir konnten es natürlich nicht abwarten und machten sofort einen kleinen Hörtest. Unsere Ohren bestätigten dieses überaus positive Ergebnis. Nur der immer noch zu laute Bass (obwohl wir nur einen aktiv angesteuert und das Bassreflexrohr verstopft haben) deckte den tonal sehr gleichmäßigen MT/HT Bereich zu. Da wir schon einige Ideen haben den Bass zu zügeln, sind wir guter Dinge, dass wir einen gut klingen und preislich günstigen Lautsprecher hinbekommen.

Im zweiten Teil findet der Umbau der Weiche und des Tieftonbereiches statt.