Wenn man ein eigenes Lautsprecherprojekt verwirklichen will dann ist man in der Regel in der Situation, dass man die in Frage kommenden Chassis nach "Papierform" auswählen muss. Beim "Klang" von Mittel- und Hochtönern oder Breitbändern gibt es zwar schon mal Empfehlungen in Internet-Foren, da ist jedoch immer die Frage, in wie weit man dem subjektiven Urteil eines Unbekannten trauen kann. Da ist man doch froh, dass die Sache am unteren Ende des Frequenzbereiches einfacher ist, denn da beschreiben ja die TSPs das Verhalten eines dynamischen Lautsprechers eindeutig (s. Thiele & Small ganz einfach, TSPs im Detail).

Das ist im Prinzip auch richtig, aber: in wie weit kann man sich bei den TSPs auf die Herstellerangaben verlassen? Wir haben in der Vergangenheit bei leider viel zu vielen Chassistest feststellen müssen, dass die Herstellerangaben deutlich von unseren Messungen abweichen. Dafür gibt es im Prinzip mehrere Gründe:

  • Das Chassis ist tatsächlich anders (Material-, Konstruktions- oder Prozessänderung)
  • Das Chassis wird unterschiedlich vorkonditioniert (neu, gebraucht, eingewobbelt etc.)
  • Das Chassis wird unterschiedlich gemessen
  • Eine beliebige Kombination von 1., 2. und 3.

Berechnet man nun ein "ideales" Gehäuse mit den Herstellerdaten, dann bedeutet dies für die "individuellen" Daten, dass das Gehäuse eben nicht ideal ist. Auf der sicheren Seite ist man, wenn man die individuellen TSPs selbst "richtig" ermittelt (s. TSP-Messen für alle) oder von unabhängigen Institutionen ermittelte TSPs verwendet und erst dann das Gehäuse berechnet. Das kommt jedoch für viele Boxenbauer nicht in Frage, da sie entweder nicht über das nötige Messequipment und/oder Know-How verfügen, keine entsprechenden Daten vorliegen und/oder sie einfach vorher wissen wollen was auf sie zukommt.

Dann kommt die Stunde von TspCheck! Dieses kleine Programm deckt auf, ob die vom Hersteller oder einer anderen Quelle angegebenen Daten stimmen können. Wie soll das denn gehen? Na ja, viele TSPs hängen von anderen TSPs ab, und diese gegenseitige Abhängigkeit kann man ausnutzen.

Auf der linken Seite ("weißer" Bereich) zeigt TspCheck zunächst die Bezeichnung des Parameters (z.B. Freiluft Resonanzfrequenz), dann seine gebräuchliche Abkürzung (z.B. Fs) und seine Einheit (z.B. [Hz]). In das Feld rechts daneben kann man schließlich den Wert eintragen (z.B. 52.0).

Auf der rechten Seite ("grauer" Bereich) ist ganz rechts angegeben, wie der aktuelle Parameter (z.B. Fs) von anderen Parametern abhängt bzw. sich daraus berechnen lässt. Fs ist z.B. von der mechanischen Nachgiebigkeit der Aufhängung Cms sowie von der bewegten Masse (inkl. Luftlast) Mms abhängig. Im linken Teil des grauen Bereiches wird der Wert von Fs nun genau unter Verwendung dieser anderen Parameter berechnet. Idealerweise müssen der Wert im weißen Eingabefeld und im grauen Ausgabefeld identisch sein!
Hinweis: Die Formel geht davon aus, dass die einzelnen Parameter in SI-Einheiten (z.B. N, kg, m, s, A etc.) eingegeben werden. Aus Platzgründen musste auf eine Skalierung bei Verwendung der üblichen Einheiten (z.B. mm, cm², dm³, gr etc.) verzichtet werden!

Sobald man ein Feld ändert ändern sich auch die davon abhängigen Felder, und so scheint es zunächst unmöglich alle Felder zur Übereinstimmung zu bringen. An 2 Beispielen wollen wir zeigen, wie man dabei strategisch klug vorgeht. Dabei ist es hilfreich zu verstehen, welche Zeilen von welchen abhängen:

Die ersten 3 Zeilen (Fs, Cms, Mms) hängen direkt voneinander ab

Die Zeilen 3 bis 6 (Cms, Sd, Dd, Vas) hängen direkt voneinander ab

Die Zeilen 7, 8 und 10 (Rdc, BL, Qes) hängen direkt voneinander ab

  • Die Zeilen 9 und 11 (Qms, Rms) hängen direkt voneinander ab

Daher macht folgende Strategie Sinn:

  1. Alle Herstellerdaten in die weißen Felder eingeben
  2. Zunächst die Gruppe Fs, Cms, Mms so verändern, dass linke und rechte Seite übereinstimmen UND Vas stimmt! Dazu wird die abstrahlende Oberfläche Sd benötigt (s. Tabelle für Anhaltswerte)
  3. Dann die Gruppe Rdc, BL und Qes zur Übereinstimmung bringen
  4. Schließlich die Gruppe Qms, Rms zur Übereinstimmung bringen
Chassisgröße Membranfläche
10 cm (4 ") 53 cm²
13 cm (5 ") 83 cm²
17 cm (6.5 ") 138 cm²
20 cm (8 ") 225 cm²
25 cm (10 ") 346 cm²
30 cm (12 ") 515 cm²
38 cm (15 ") 840 cm²
46 cm (18 ") 1180 cm²

 


 

Beispiel 1: A&D 10256

  1. Eingabe der Herstellerdaten. Die Membranfläche wird nicht angegeben, daher rechnen wir mit der typischen Membranfläche aus der obigen Tabelle. Qes müssen wir uns erst errechnen, da ungewöhnlicherweise nur Qms und Qts angegeben wurden. Es gilt:

    1/Qts = 1/Qms + 1/Qes -> 1/Qes = 1/Qts - 1/Qms, also 1/((1/0.48)-(1/9.17)) = 0.507

    Qms [-]: Qts [-]: Qes [-]:


    -> da Cms und Mms noch vom vorherigen Chassis sind stimmen linke und rechte Seite überhaupt nicht überein.
    -> Interessant ist, dass ein Wirkungsgrad von 91.7 dB/W/m berechnet wird, obwohl der Hersteller 96 dB angibt.

     

  2. Die Gruppe Fs, Cms und Mms so verändern, dass beide Seiten übereinstimmen (auch bei Vas). Einziges Stellglied für Vas ist Cms, da Sd ja vorgegeben wurde. Durch "Ausprobieren" ergibt sich Cms = 0.23 mm/N. Damit ergibt sich für Mms 44.05 gr. (Vorgabewert auf der rechten Seite nach Eingabe von Cms):


    -> Die Gruppe Fs, Cms, Mms, Sd und Vas stimmt schon recht gut überein!
    -> Würde sich keine Übereinstimmung für Fs, Cms, Mms und Vas ergeben wäre entweder Sd falsch "geraten" oder einer der anderen Parameter falsch vorgegeben!

     

  3. Die Gruppe Rdc, BL und Qes so verändern, dass beide Seiten übereinstimmen. Nach Eingabe des auf der rechten Seite vorgeschlagenen Wertes für BL von 12.69 ist die Übereinstimmung der 3 Werte perfekt:


    -> es wird, es wird!

     

  4. So, bleibt nur noch der Abgleich von Qms und Rms. Wieder geben wir bei Rms den rechts vorgeschlagenen Wert von 1.51 ein, und:


    -> voilà!

Na also, die angegebene Kombination von Parametern ist also - bis auf den deutlich zu optimistisch angegebenen Wirkungsgrad - zumindest physikalisch möglich. Das heißt allerdings noch nicht, dass sie auch richtig ist! Falls ein Chassis diesen Test jedoch nicht besteht ist etwas mit den Parametern faul, ohne dass man genau sagen könnte was -> am besten die Finger von dem Chassis lassen!

Zum Wirkungsgrad muss noch gesagt werden, dass dieser in dB/W/m angegeben wird, und nicht in dB/2.83V/m. Bei Chassis mit geringem Rdc (wie z.B. dem A&D 10256) ergibt sich ein deutlich höherer Wirkungsgrad wenn man ihn statt auf 1 Watt auf 2.83 Volt bezieht. Wenn ein Chassis einen von 8 Ohm abweichenden Rdc hat gilt:

SPL [dB/2.83V/m] = SPL [dB/W/m] + 10 · Log10 ( 8 / Rdc )

Für den A&D 10256 müssten also 1,32 dB dazu addiert werden, es ergäbe sich also ein Spannungswirkungsgrad von 93,02 dB.

SPL [dB/W/m]:
Rdc [Ohm]:
SPL [dB/2.83V/m]:
SPL [%]:

 


 

Beispiel 2: P-AUDIO HP-10W

  1. Eingabe der Herstellerdaten. Diesmal sind alle Werte angegeben:


    -> Cms ist noch vom vorherigen Chassis, daher stimmen linke und rechte Seite nicht überein.
    -> Und wieder wird beim Wirkungsgrad "geschummelt": mit den vom Hersteller angegebenen Parametern ergibt sich rein rechnerisch ein Wirkungsgrad von 93.3 dB/W/m, der Hersteller gibt 96 dB/W/m an.

    Es wird auch der Referenzwirkungsgrad mit 1.38% angegeben. Der Wert in dB/W/m berechnet sich daraus zu:

    SPL [dB/W/m] = 92.02 + 10 · Log10 ( SPL [%] ), also 92.02 + 1.42 = 93.42

     

  2. Die Gruppe Fs, Cms und Mms so verändern, dass beide Seiten übereinstimmen (auch bei Vas). Einziges Stellglied für Vas ist Cms, da Sd ja vorgegeben wurde. Es wird der vorgeschlagene Wert von 0.34 mm/N für Cms eingesetzt:


    -> Die Gruppe Fs, Cms, Mms, Sd und Vas stimmt schon recht gut überein!
    -> Würde sich keine Übereinstimmung für Fs, Cms, Mms und Vas ergeben wäre einer der Parameter falsch vorgegeben!

     

  3. Die Gruppe Rdc, BL und Qes so verändern, dass beide Seiten übereinstimmen. Alle 3 Werte wurden vom Hersteller angegeben, sie passen aber nicht zusammen! Erst wenn man Rdc auf 7.47 Ohm ändert passt es. Alternativ kann man BL auf 11.94 N/A oder Qes auf 0.383 ändern:


    -> welcher der 3 Werte nicht stimmt ist unklar, auf jeden Fall passt da etwas nicht!

     

  4. So, bleibt nur noch der Abgleich von Qms und Rms. Wieder geben wir bei Rms den rechts vorgeschlagenen Wert von 1.64 ein, und:


    -> voilà!

Die angegebene Kombination von Parametern ist also so nicht möglich, das Trio Rdc, BL und Qes passt nicht zusammen -> am besten die Finger von dem Chassis lassen! Darüber hinaus wird der Wirkungsgrad mal wieder deutlich zu optimistisch angegebenen.

 


 

Zusätzliche Angaben:

Was bedeuten eigentlich die anderen Angaben weiter unten? Das Wirkungsgrad-Bandbreite-Produkt EBP = Fs/Qts ist ein Indikator, für welche Schallführung ein Chassis besonders geeignet ist. Für geschlossene Gehäuse braucht man z.B. Chassis, die sowohl eine niedrige Resonanzfrequenz haben (z.B. 25 Hz) als auch eine mittlere Gesamtgüte (z.B. 0.5), so dass sich bei einer Einbaugüte von z.B. 0.7 eine niedrige untere Grenzfrequenz ergibt (s.a. Das einfachste Gehäuse). Für Bassreflex-Gehäuse darf die Resonanzfrequenz etwas höher und die Gesamtgüte etwas niedriger sein etc. Für Hornlautsprecher sind auch Chassis mit sehr niedriger Güte und hoher Resonanzfrequenz geeignet. Die folgende Tabelle gibt einen groben Überblick (gültig für Basslautsprecher wenn eine untere Grenzfrequenz von ca. 35 Hz angestrebt wird):

Schallführung Bereich Fs Bereich Qts Bereich EBP
Transmission-Line 25 - 40 Hz 0.6 - 0.8 40 - 50 Hz
Geschlossenes Gehäuse 20 - 40 Hz 0.4 - 0.6 50 - 70 Hz
TQWT-Gehäuse 30 - 50 Hz 0.4 - 0.6 60 - 90 Hz
Bassreflex-Gehäuse 30 - 50 Hz 0.25 - 0.5 70 - 120 Hz
Horn-Lautsprecher 40 - 60 Hz 0.1 - 0.3 >150 Hz

Man darf diese Werte natürlich nicht als in Stein gemeißelt betrachten da die Übergänge fließend sind, sie gibt jedoch gute Anhaltspunkte für den Einsatzbereich eine Basschassis.

Wenn man die elektrische Dauerbelastbarkeit Pel [W] kennt, dann kann man zusammen mit dem Wirkunggrad den maximalen Dauerschalldruck SPL_e [dB] ausrechnen, den das Chassis thermisch aushalten kann.

Eine andere Grenze für das Chassis ist die maximale lineare Auslenkung von der Ruhelage Xlin. Näherungsweise ist dies der halbe Über- bzw. Unterhang der Schwingspule. Zur Erzielung eines bestimmten Schalldrucks muss eine bestimmte Menge Luft verschoben werden, daher geht die abstrahlende Oberfläche Sd ein. "Dummerweise" muss für denselben Schalldruck bei der halben Frequenz der 4-fache Hub erzeugt werden, daher geht die Frequenz quadratisch ein. TspCheck berechnet im Feld SPL_m [dB] den maximal erzielbaren Spitzenschalldruck im linearen Arbeitsbereich in einem geschlossenen Gehäuse bei 50 Hz.

Ganz zum Schluss berechnet TspCheck in der Zeile F_m=e [Hz], bei welcher Frequenz das Chassis sowohl thermisch als auch mechanisch (Hub) limitiert ist, wenn in einem geschlossenen Gehäuse ein Sinussignal mit der maximalen Dauerleistung abgestrahlt wird. In der Regel ist ein Chassis im Tieftonbereich mechanisch limitiert, d.h. es kann nicht die gesamte Dauerleistung linear in Auslenkung umgesetzt werden.

 


 

Fazit:

TspCheck ist ein effektives Tool um nicht konsistente TS-Parameter zu entlarven. Insbesondere beim Wirkungsgrad wird gerne mal "geschummelt". Darüber hinaus werden einige Kenngrößen für die geeignete Schallführung (EBP) sowie für das Großsignalverhalten angegeben, wie z.B. der maximal erzielbare Schalldruck (thermisch) sowie die Frequenz, ab der der maximale Schalldruck durch den Hub limitiert ist.

TS-Parameter und ihre Abhängigkeit zueinander beruhen auf physikalischen Tatsachen, die sich mit TSP-Check einfach nachrechnen lassen. Gelingt das nicht, dann ist mit der Angabe des Herstellers etwas nicht in Ordnung und es heißt: Finger weg!

 

Nachtrag: Seit 2012 gibt es das Tool auch als Online-Variante

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