MultiCell-Horn - Top oder Flopp?
"Das Auge isst mit" sagt man im Volksmund und meint, dass der Genuss beim Essen nicht allein durch den Geschmack, sondern auch durch das Aussehen bestimmt wird.
Auf HiFi-Geräte umgemünzt könnte man sagen "das Auge hört mit" bzw. der Genuss beim Musikhören wird nicht allein durch die Wiedergabequalität, sondern auch durch das Aussehen bestimmt. Das Aussehen wiederum ist Trends bzw. Modeerscheinungen unterworfen. Momentan ist z.B. Retro oder Vintage angesagt: viele Hersteller bringen Anniversary- bzw. Jubiläums-Versionen ihrer Produkte auf den Markt um an "gute, alte Zeiten" anzuknüpfen. Im Bereich Lautsprecher fällt mir da die WHARFEDALE Linton 85 ein oder die JBL L100 Classic.
DER Klassiker schlechthin ist die 2-Wege-Männerbox mit 12" oder 15" Tieftöner und Hochtonhorn: sei es die MONACOR Menhir (2008) als "Vorreiter" im DIY-Bereich, die HiFi-Selbstbau LittleWatt (2011), die HiFi-Selbstbau HighLive (2009) oder die Monitor#Eins (2024).
Die Krönung der 2-/3-Wege-Männerbox ist aber eine Variante mit freistehendem Hochtonhorn, gerne auch schön groß. Der Klassiker hier ist ein JABO-Horn mit 53 cm Durchmesser und dem BMS 4590 als Koaxialtreiber (s. HSB-Datenblatt (Treiber-/Horn-Kombination)). Unten ist eine Kombination aus 18" Tieftöner MONACOR SP-46500PA, JABO KH-53 mit BMS 4591 und FAITAL STH-100 mit CELESTION CDX1-1430 abgebildet:
Noch exotischer wird es in der Klang & Ton 2025/2 mit einer Kombination aus Onken-Bassgehäuse (VISATON PAW-38) mit aufgesetztem MultiCell-Horn (Klughorn 805 B). Die Typbezeichnung lässt vermuten, dass das legendäre ALTEC 805B Pate stand . . .
Quelle: Klang & Ton 2025/2, S27
3D-gedrucktes MultiCell-Horn mit BMS 4554
Der Zufall wollte es, dass uns ein ähnlich aufgebautes (aber kleineres) Horn von unserem Abonnenten benmast3r zugespielt wurde. Das interessante an diesem Horn ist, dass es 3D-gedruckt wurde. Auf dem Foto sieht man sehr schön, dass der 3D-Druck aus 10 Teilen besteht:
-> der Flansch mit der Erweiterung von rund (1.4") auf eckig (31.7 x 63.7 mm)
-> der Übergang von einer eckigen Öffnung auf acht eckige Öffnungen (15.7 x 15.7 mm)
-> schließlich 8 einzelne Hörner
die abschließend verklebt (Übergang + 8 einzelne Hörner) bzw. verschraubt (Flansch + Übergang) wurden.
Obwohl das Horn insgesamt ca. 43 cm breit, ca. 24 cm hoch und ca. 40 cm lang ist konnte es so mit einem 3D-Drucker gedruckt werden, der "nur" einen 220 x 220 x 256 mm großen Bauraum hat (Creality Ender 3 V2, hier ein Link zum aktuellen Ender 3 V3). Hier eine Übersicht der einzelnen Bauteile:
Manche Teile werden mehrfach gedruckt. Dabei werden insgesamt ca. 2.6 kg Filament benötigt, mit dem Creality Ender 3 V2 beträgt die Druckzeit:
Komponente | Anzahl | Druckzeit/Stück |
Halsadapter1.4.stl | 1x | ca. 12 Stunden |
Verteilerstueck.stl | 1x | ca. 21 Stunden |
Trichter-ObenLinks.stl (=UntenRechts) | 2x | ca. 14 Stunden |
Trichter-ObenRechts.stl (=UntenLinks) | 2x | ca. 14 Stunden |
Trichter-Mitte.stl | 4x | ca. 14 Stunden |
Insgesamt also ca. 145 Stunden Druckzeit - Respekt! Nun ist der Creality Ender 3 V2 nicht der schnellste 3D-Drucker (max. Druckgeschwindigkeit 250 mm/s, max. Beschleunigung 2500 mm/s²), aber die Druckqualität lässt kaum Wünsche offen.
Unser Abonnent benmast3r hat uns übrigens die STL-Dateien zur Verfügung gestellt (insgesamt ca. 16 MB), unsere Abonnenten können diese auf Anfrage an
Wir wollten herausfinden, wie sich so ein "klassisches" MultiCell-Horn (nach Vorbild des ALTEC 805B) im Vergleich zu einem "modernen" Horn wie dem EIGHTEENSOUND XT1464 in Punkto Frequenzganglinearität, Wirkungsgrad und vor allem Rundstrahlverhalten macht . . .
Der Messabstand betrug 100 cm vom Hornmund, bei der vertikalen Ausrichtung zeigte das Horn zwar ca. 15° nach oben, das Mikrofon befand sich aber auf Achse.
Als Treiber wurde der BMS 4554 verwendet, da wir ihn - ebenso wie das EIGHTEENSOUND XT1464 - zur Verfügung hatten: beide warten darauf in einer Neuauflage der HighLive zum Einsatz zu kommen . . .
Zunächst wurde der Impedanzverlauf des Treibers ohne Horn und mit den beiden Hörnern gemessen:
-> extrem geringer Einfluss der Anregungsspannung auf den Impedanzverlauf (Rdc +0.05 (+0.4%) bzw. +0.16 Ohm (+1.3%) bei 0 dB bzw. +6 dB ()
-> weitgehend gleicher Impedanzverlauf, beim MultiCell-Horn etwas "verzappelter"
Im Folgenden wurden Schalldruckmessungen auf unserer Drehvorrichtung in 5° Schritten von 0° bis 90° in horizontaler und vertikaler Richtung mit JustOct (0/15/30/45/60/75°) und ARTA durchgeführt.
-> um 3.2 kHz ist das MultiCell-Horn unter 15° und 30° lauter als unter 0°
-> ein Constant-Directivity-Verhalten ist nicht zu erkennen
-> vertikal ist zwischen 2.5 und 10 kHz (insbesondere unter 15° und 30°) durchaus ein Constant-Directivity-Verhalten zu erkennen
-> der winkelgewichtete Schalldruck und Bündelungsgrad verläuft horizontal und vertikal sehr unterschiedlich (= unterschiedliche Klangfarbe der Wand- bzw. Deckenreflexionen)
Und so sieht das Ganze als Farbkarte (links) bzw. Polardiagramm (rechts) aus:
ARTA gibt weitere Kennwerte für das Rundstrahlverhalten an, den Directivity Index (DI) und den Öffnungswinkel (Angle):
Bei der oberen (= horizontalen) Farbkarte fällt auf, dass das horizontale Abstrahlverhalten oberhalb von 500 Hz weitgehend konstant ist und vor allem zwischen +/- 50° stattfindet. Dementsprechend ist der horizontale Öffnungswinkel oberhalb von 500 Hz auch 88.3 +/- 20.4° (Max 129.7°, Min 58.1°). Demgegenüber verengt sich die vertikale Abstrahlung mit steigender Frequenz zunehmend und findet oberhalb von 2.5 kHz weitgehend zwischen +/- 25° statt, der Mittelwert und die Standardabweichung des vertikalen Öffnungswinkels betragen oberhalb von 2500 Hz 43.1 +/- 10.6°.
Oberhalb von 7 kHz ist vor allem bei der oberen (= horizontalen) Farbkarte das sogenannte "Fingering" erkennbar (s. audioXpress Horn Theory: An Introduction, Part 2). In der Horizontalen gibt es 4 Segmente und 5 Seiten- bzw. Zwischenwände, und in Richtung jeder dieser Zwischenwände kommt es oberhalb von 7 kHz zu einer Überhöhung des Schalldrucks (bei den Zwischenwänden mehr, bei den Seitenwänden weniger). Bei der unteren (= vertikalen) Farbkarte ist dies weniger ausgeprägt erkennbar, hier gibt es 2 Segmente und 3 Seiten- bzw. Zwischenwände.
ACHTUNG: Bei den Winkelmessungen 0°, 15°, 30°, 45° etc. ist das "Fingering" nicht erahnbar, erst bei den Farbkarten oder den Polardiagrammen mit 5° Winkelauflösung ist es zu erkennen!!! |
Betrachtet man das horizontale (= obere) Polardiagramm wird deutlich, dass sich der Schalldruckpegel bei Änderung des Abhörwinkels um 10° häufig um bis zu 6 dB ändert, und das je nach Frequenz bei einem anderen Winkel - dies ist sowohl für den Direktschall als auch für die Wandreflexionen definitiv nicht wünschenswert.
Trotz der Größe des Horns (immerhin ca. 43 cm breit, 24 cm hoch und 40 cm tief) ist die untere Grenzfrequenz (-3 dB) mit ca. 800 Hz nicht wirklich überzeugend. Unterhalb von 400 Hz fällt der Frequenzgang dann steil ab.
EIGHTEENSOUND XT1464 mit BMS 4554
Auch hier wieder zunächst der "Versuchsaufbau":
Wie schon zuvor wurden Schalldruckmessungen auf unserer Drehvorrichtung in 5° Schritten von 0° bis 90° in horizontaler und vertikaler Richtung mit JustOct (0/15/30/45/60/75°) und ARTA durchgeführt.
Hinweis: Zum Teil wurde in den Grafiken fälschlicherweise die Bezeichnung XR1464 statt XT1464 verwendet
-> generell sehr schön gleichmäßiger Pegelabfall zu höheren Winkeln, nur um 3.8 kHz fällt der Frequenzgang unter 15° kaum ab
-> ein Constant-Directivity-Verhalten ist zwischen 1.3 und 12 kHz bis 30° deutlich zu erkennen
-> generell sehr schön gleichmäßiger Pegelabfall zu höheren Winkeln, nur um 4.7 kHz fällt der Frequenzgang unter 15° kaum ab
-> ein Constant-Directivity-Verhalten ist zwischen 1.6 und 12 kHz bis 30° deutlich zu erkennen
-> der winkelgewichtete Schalldruck und Bündelungsgrad verläuft horizontal und vertikal sehr ähnlich (= identische Klangfarbe der Wand- bzw. Deckenreflexionen)
Die insgesamt abgestrahlte Schallleistung beider Treiber-/Horn-Kombinationen ist natürlich weitgehend identisch, nur die Aufteilung der Energie zwischen horizontaler und vertikaler Abstrahlung ist unterschiedlich:
"Untenrum" hat das XT1464 bis 700 Hz die Nase vorn (höherer Pegel, geringere Welligkeit), erst darunter kann das größere MultiCell-Horn (430B * 240H x 395T gegenüber 380B x 304H x 257T) noch etwas zulegen, wobei dann der Pegel schon um 6 dB abgefallen ist.
Und so sieht das Ganze als Farbkarte (links) bzw. Polardiagramm (rechts) aus:
ARTA gibt weitere Kennwerte für das Rundstrahlverhalten an, den Directivity Index (DI) und den Öffnungswinkel (Angle):
Bei der oberen (= horizontalen) Farbkarte fällt auf, dass das horizontale Abstrahlverhalten zwischen 1000 und 12500 Hz weitgehend konstant ist und vor allem zwischen +/- 50° stattfindet (gelbe Linie). Dementsprechend ist der horizontale Öffnungswinkel in diesem Bereich auch 68.8 +/- 7.8° (Max 80.8°, Min 55.8°). Die vertikale Abstrahlung verhält sich ähnlich, die Bündelung nimmt aber mit steigender Frequenz etwas mehr zu. Der vertikale Öffnungswinkel von 1 bis 12.5 kHz beträgt daher 66.1 +/- 12.4° (Max 92.9°, Min 48.0°).
Generell ist das Rundstrahlverhalten sehr gleichmäßig und entspricht weitestgehend dem "realen" Constant-Directivity-Verhalten, wobei das horizontale und vertikale Bündelungsverhalten ähnlich ist. Dadurch haben Reflexionen an den Raumbegrenzungsflächen eine weitgehend ähnliche Klangfarbe wie der Direktschall - eine durchaus wünschenswerte Eigenschaft.
Vergleichende Betrachtung der Hörner
Das MultiCell-Horn hat vor allem eine sehr gleichbleibende Bündelung in horizontaler Richtung bis hinunter zur unteren Grenzfrequenz von 800 Hz. Damit ist es für den ursprünglichen Einsatzzweck - die Beschallung von Theatern mit großen Hörabständen - sehr gut geeignet: es verhält sich akustisch wie ein begrenzter Lichtkegel, der nur einen bestimmten Bereich ausleuchtet. Vertikal bündelt es oberhalb von 2 kHz deutlich stärker (eine durchaus erwünschte Eigenschaft im Sinne des begrenzten Lichtkegels), darunter strahlt es aber zunehmend breiter als horizontal.
Innerhalb des nach außen begrenzten Lichtkegels ist die Ausleuchtung aber nicht optimal gleichmäßig (Stichwort "Fingering"), die Farbkarte ist im "Nutzbereich" nicht überall gleich rot:
Nutzt man ein solches Horn aber im Wohnraum mit deutlich geringeren Hörabständen, dann kann diese ungleichmäßige Ausleuchtung im schlimmsten Fall dazu führen, dass man nur wenig Direktschall abbekommt, aber die Reflexionen durch eine Seitenkeule verstärkt werden. Das MUSS nicht auftreten, aber es KANN auftreten. Natürlich kann man dem mit raumakustischen Maßnahmen begegnen, aber der "Witz" von Hörner ist ja eigentlich, dass man - durch Ausrichtung auf den Hörer - den Direktschallanteil erhöht, die Reflexionen an den Begrenzungsflächen durch die Richtwirkung des Horns reduziert und sich so raumakustische Maßnahmen sparen kann . . .
Da verhält sich das EIGHTEENSOUND XT1464 deutlich gleichmäßiger und damit gutmütiger:
Wenn man hier durch leichtes Einwinkeln den Hochtonanteil "dosieren" will muss man nicht Gefahr laufen, dass man dann Probleme mit zu lauten Reflexionen bekommt.
Egal welches objektive Kriterium man vergleicht, das EIGHTEENSOUND XT1464 zeigt fast immer ein günstigeres Verhalten als das 3D-gedruckte MultiCell-Horn:
- z.B. beim Frequenzgang unter Winkeln, wo unter allen Winkeln der Schalldruck außerhalb der Achse geringer ist als auf Achse (beim MultiCell-Horn ist der Schalldruck unter 15° horizontal fast 4 dB lauter als auf Achse)
- oder beim Polardiagramm, dass im Vergleich zum "verzappelten" Verlauf beim MultiCell-Horn total aufgeräumt aussieht
- oder beim Verlauf des Directivity-Index DI und beim Öffnungswinkel, die beide wesentlich "ruhiger" Verlaufen
Last but not least ist beim XT1464 das vertikale Rundstrahlverhalten nur wenig enger als das horizontale, so dass (vertikale) Reflexionen an Boden und Decke eine ähnliche Klangfarbe haben wie (horizontale) an den Wänden - beim MultiCell-Horn klingen diese Reflexionen wegen der deutlich unterschiedlichen Bündelung sehr unterschiedlich.
Wenn man einen Lautsprecher mit "aufgesetztem" Horn bauen will, dann sieht das MultiCell-Horn aber definitiv "cooler" aus. Dafür kann man das XT1464 in die Box einbauen und so optisch unauffälliger und kompakter bauen - vor allem, wenn man das XT1464 in die Schallwand einspachtelt und die gesamte Frontplatte dann einfarbig lackiert, wie wir das bei der HighLive gemacht haben . .
Kommentare
Theo sagte mir die Tage das sie Smith gerade testen wollten. Aber wohl keine Originalen. Nimm doch mal Verbindung auf mit Theo oder Thomas. Die Dinger sind ja auch Legenden. Aber dann hätten wir wieder Himmel oder Erde. Wäre schon super interessant.